Wilhelm Neurohr

Internationale, bilaterale oder multinationale Handelsabkommen haben schon eine längere Geschichte, aus der leider eher Misserfolgs-Geschichten hervorgegangen sind, mit einer Bilanz des anhaltenden Scheiterns „fairer Handelsvereinbarungen“.

Als kleineres Vorbild für das Freihandelsabkommen TTIP verweist man auf das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA („North American Free Trade Agreement”)[1] von 1994 zwischen USA, Kanada und Mexiko (dessen wirtschaftliche Erfolge allerdings zwiespältig und umstritten sind, wie an anderer Stelle noch näher betrachtet wird). Insgesamt gibt es weltweit ca. 3000 zwischenstaatliche Handelsabkommen[2].

Bereits vor 60 Jahren, im Oktober 1947, wurde in Genf das Allgemeine Zollabkommen GATT („General Agreement on Tariffs and Trade“)[3] von 23 Gründungsmitgliedern (darunter USA, China, Australien) abgeschlossen, mit dem Ziel, Zölle und gesetzliche Handelshemmnisse zu beseitigen, quasi als Grundlage für die heutige Globalisierung (zum Vorteil der westlichen Industrienationen und großen Konzerne und zum Nachteil vor allem der Entwicklungsländer und ihrer Kleinbauern). Deutschland trat dem Abkommen im Oktober 1951 bei. Seit 1948 wurden in zunächst acht Verhandlungsrunden ständig die Zölle der Vertragsstaaten gesenkt sowie Gesetze geändert, die dem freien Waren- und Geldverkehr „im Wege standen“, so auch Umwelt- und Sozialstandards.

Am 15. April 1994 wurde nach siebenjähriger Verhandlungszeit in der so genannten „Uruguay-Runde“ die Welthandelsorganisation WTO („World Trade Organization“) als internationale Organisation für Regelungen von Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Sitz in Genf gegründet. Ihr gehören inzwischen 159 bzw. 160 Mitgliedsstaaten[4] an. Die WTO ist neben dem IWF (Internationaler Währungsfond) und der Weltbank eine der zentralen internationalen Organisationen, die Handels- und Wirtschaftspolitik mit globaler Reichweite verhandelt und vor allem eine Koordinierungs- und Streitschlichtungsfunktion hat.[5] Von der WTO wurde ab 1. Januar 1995 die Betreuung des GATT-Abkommens sowie weiterer Abkommen wie GATS (Abkommen über den freien Handel mit Dienstleistungen) und TRIPS (Abkommen über die Verwertung geistigen Eigentums) übernommen[6]. Sie setzt sich u. a. nachdrücklich für die Privatisierung staatlicher Aufgaben ein[7].

Mit der so genannten Doha-Entwicklungsrunde („Doha Development Agenda“) wollten die Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) den globalen Handel auf eine neue Grundlage stellen[8]. Schon die Agenda der Verhandlungen war aber lange umstritten. Im November 2001 einigte sich auf der ersten Doha-Runde in Katar die WTO-Ministerkonferenz auf das Ziel, die Märkte weiter zu öffnen und die Entwicklungsländer besser in das System des Welthandels einzubinden.

Erfolglose „Doha-Runden“ der WTO benachteiligen die Entwicklungsländer

Die Industrienationen wollten daher die Doha-Runde als "Entwicklungsrunde" verstanden wissen und die Interessen der weniger entwickelten Länder bei allen Themen stärker berücksichtigen. Ursprünglich sollte vor dem 1. Januar 2005 eine Einigung zustande kommen. Als Schwerpunkte der Verhandlungen legten die WTO-Mitglieder den Abbau von Agrarzöllen und Subventionen für landwirtschaftliche Produkte, niedrigere Zölle für Industrieprodukte sowie die Liberalisierung im Dienstleistungssektor fest. Weitere Themen waren und sind unter anderem Anti-Dumping-Regeln, Umweltfragen und der Schutz des geistigen Eigentums - etwa mit Blick auf den Zugang zu Medikamenten in Entwicklungsländern[9].

Nach insgesamt zunächst acht zumeist gescheiterten Freihandelsrunden bildeten sich schließlich zahlreiche Ländergruppen. Besonders Entwicklungs- und Schwellenländer organisierten sich auf diese Weise, um ihre Interessen gegenüber den Industrienationen durchzusetzen. Vielfach einigt die Gruppen eine Position zu Einzelthemen. Einige Länder gehören daher mehreren Zusammenschlüssen mit jeweils unterschiedlichen Partnern an. Zu den bekanntesten zählt die Gruppe der 20. Sie entstand im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Cancun 2003. Unter Führung von China, Indien und Brasilien bildete sie damals ein starkes Gegengewicht zu den USA und zur EU. Die größte Gruppe der Entwicklungsländer hat sich in der Gruppe der 90 (G90) zusammengefunden.

Alle Versuche, die unterschiedlichen Interessen der WTO-Mitglieder in einem Gesamt-Kompromiss auszubalancieren, scheiterten bisher. Die Regierungen haben vor allem die Unternehmen des eigenen Landes im Blick. Abhängig von deren Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt drängen sie in einigen Branchen auf eine Öffnung der Märkte und beharren in anderen auf Protektionismus. Nach dem Scheitern der WTO-Konferenz in Cancun 2003 markierte eine Rahmenvereinbarung im Juli 2004 den Ausgangspunkt für die Fortsetzung der Doha-Runde. In Hongkong stimmten die Industrienationen im Dezember 2005 zwar dem Ende ihrer Agrarexportsubventionen bis 2013 zu. In anderen zentralen Punkten kam es aber erneut zu keiner Einigung.

Seither verliefen die Verhandlungen zäh und standen zeitweise vor dem endgültigen Scheitern. Die Verhandlungsrunde im Juli 2008 in Genf galt mit Blick auf die anstehende US-Präsidentschaftswahl als vorerst letzte Chance für einen Abschluss der Doha-Runde. Aber erneut gab es keine Einigung. Beim G20-Gipfel der größten Industrie- und Schwellenländer in Toronto im Juni 2010 verabschiedeten sich die Staats- und Regierungschefs von dem Ziel, die Verhandlungen bis Ende 2010 zum Abschluss zu bringen[10].

Schon nach Abschluss der Ministerkonferenz der WTO in Genf 2009 hatte der vor Ort anwesende ATTAC-Vertreter Johannes Lauterbach bemerkt: „Das System WTO ist am Ende“, nachdem es weder „eine Spur von Einsicht in die verheerende Rolle des Freihandelsregimes für die Hungerkrise“ gezeigt habe, noch „die Lehren aus dem Zusammenhang zwischen Deregulierung der Finanzmärkte zu ziehen“ bereit oder imstande sei[11]. Für die Entwicklungsländer habe man folgenlose Lippenbekenntnisse parat. Auch das Festhalten an dem Ziel, die sogenannte Doha-Runde abzuschließen, zeigt nach Ansicht von ATTAC die Unfähigkeit der WTO, grundsätzliche Fragen zur Lösung der globalen Wirtschaftskrise und die dringend erforderliche Änderung des Welthandelssystem zu diskutieren[12]. Trotzdem feierte sie im Dezember 2013 den „Durchbruch bei der Konferenz in Indonesien“ als „erstmals seit ihrer Gründung 1995 gelungenen Abschluss eines globalen Abkommens zur Liberalisierung des Welthandels“[13].

Waren die jüngsten Verhandlungen in Bali das faktische Ende der WTO?

Auf der jüngsten Verhandlungsrunde in Bali im Dezember 2013, die als „Neuanfang“ gepriesen wurde, hatten Unterhändler doch noch eine nächtliche Einigung erzielt, indem flexible Zoll- und Handelserleichterungen für die ärmsten Länder eingeräumt wurden[14]. Die ärmsten Entwicklungsländer erhalten einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrie- und Schwellenländer. Die Entwicklungshilfe im Bereich des Handels soll verstärkt werden. Darüber hinaus ist der Abbau von Ausfuhrsubventionen im Agrarhandel vorgesehen, mit leichtem Vorteil für Entwicklungsländer im Agrarbereich. Vor allem Indien hatte auf Subventionen für seine Lebensmittel beharrt. Es wurde sichtbar, das Ernährungssicherheit mit den Freihandelsvorstellungen der WTO unvereinbar sind, daran wären die Verhandlungen fast gescheitert[15].

Unter anderem haben sich die Staaten dann doch darauf verständigt, zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder sämtliche Arten von Exportförderungen einschließlich der Exportkredite als Subventionen abzubauen und entsprechende Maßnahmen transparent darzustellen. Beschlossen wurden Handelserleichterungen für alle durch einen „Abbau bürokratischer Einfuhrhemmnisse“.

Allerdings machen die Vereinbarungen von Bali weniger als 10 % der Reformen aus, die die Doha-Entwicklungsagenda ursprünglich vorgesehen hat. Vieles was beschlossen wurde, sind bloße Absichtserklärungen. Kritisiert wird an dem „Bali-Paket“ auch, dass im Bereich des internationalen Dienstleistungshandels nur wenig erreicht wurde, obwohl der internationale Dienstleistungshandel zum eigentlichen Schlüsselfaktor der Globalisierung geworden ist. Inwieweit die Einigung von Bali von den WTO-Mitgliedstaaten ratifiziert und tatsächlich umgesetzt wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Bis zur Umsetzung dürfte es allerdings noch Jahre dauern.[16] Ob der von Bali erhoffte „Schwung für den Welthandel“ tatsächlich eintritt, wird vielfach angezweifelt, ebenso wie die Erwartung von „Millionen neuen Jobs“ und „Milliarden Dollar an Kosteneinsparungen“[17].

Das Ergebnis ist also nicht so berauschend, wie es zunächst den Anschein hatte. Für viele Beobachter war Bali kein Neuanfang, sondern „eigentlich das Ende der WTO“[18] als einstige politische Wegbereiterin der Globalisierung, deren Strukturen sich in den letzten 20 Jahren nicht den weltweiten Veränderungen angepasst haben. Nur wenige werden der WTO nachtrauern, die durch TTIP einen endhältigen Bedeutungsverlust erfährt. Zwar wurde sehr emotional um Kompromisse gerungen, mit dem sich die Handelsminister von 159 Ländern nach jahrelangen Verhandlungen (mit dem schwierigen und blockierenden Prinzip der Einstimmigkeit) auf ein neues Abkommen verständigt hatten. Aber bei genauerer Betrachtung sind die Ergebnisse sehr bescheiden und der multilaterale Weg scheint am Ende zu sein.

Das Ende multilateraler Verträge zugunsten bilateraler Abkommen

„Spätestens seit der Finanzmarktkrise findet sich zunehmend Sand im Getriebe des Welthandels“. Die aufstrebenden Volkswirtschaften wollen mehr Mitsprache und weniger westliche (amerikanische) Bevormundung. Sie wollen bei der Gestaltung der Spielregeln der Globalisierung mitbestimmen“[19]. Wegen der immer unterschiedlicheren Interessen zwischen den westlichen einerseits und den aufstrebenden Ländern andererseits, gelingt es immer seltener, weltweit gültige Kompromisse zu finden. Deshalb verstärkt sich die Tendenz zu bilateralen Verhandlungen und Abkommen, wie z. B. auch mit NAFTA und neuerdings mit TTIP. Rund um den Pazifischen Ozean soll (allerdings unter Ausschluss Chinas) eine riesige Freihandelszone entstehen.

Am letzten Tag der Bali-Runde begann sogleich eine neue Runde zur Transpazifischen Partnerschaft mit 12 Pazifik-Anrainern (USA, Mexiko, und Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Brunei, Malaysia, Singapur, Vietnam sowie Chile und Peru). Das geplante TPP-Abkommen ist nach Auffassung humanitärer Organisationen der schädlichste Handelsvertrag aller Zeiten“[20]. Menschenrechts- und Umweltorganisationen wie EarthLink oder Urgewald[21] werfen vielen großen Konzernen vor, dass sie ihre Milliardengewinne durch Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung und Umweltzerstörung generieren. (Ausbeutung als Geschäftsmodell – hauptsächlich in den Branchen Energie, Bergbau, Agrar und Rüstung). Das aber ist nicht Gegenstand der Freihandelsabkommen. Warum nicht?


[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Nordamerikanisches_Freihandelsabkommen

[2] FAZ vom 25.01.2014

[3] http://www.wasistwas.de/aktuelles/artikel/link//603ed28696/article/das-gatt-abkommen.html?tx_ttnews[backPid]=10

[4] WTO-Website sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Mitgliedstaaten_der_WTO

[5] WTO-Website sowie Bundeszentrale für politische Bildung und http://de.wikipedia.org/wiki/Welthandelsorganisation

[6]

[7] Siehe Rundbriefe Dreigliederung Nr. 2/2002 und 4/2001 sowie 2/2002 u. a.

[8] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/doharunde102.html

[9] wie vor

[10] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/doharunde102.html, sowie http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-studien-de/swp-studien-detail/article/doha_runde_der_wto.html, ferner http://de.wikipedia.org/wiki/Doha-Runde

[11] www.attac.de/kampagnen/demokratie-statt-stuttgart-21/neuigkeiten

[12] ebenda

[13] Yahoo Nachrichten vom 07.12.2013

[14] http://www.handelszeitung.ch/politik/durchbruch-bei-der-doha-runde-der-wto-533539 und http://www.gvw.com/aktuelles/newsletter/trade-news-de/januar-2014/wto-recht-doha-runde-kommt-auf-bali-wieder-in-die-gaenge.html

[15] taz im Dezember 2013

[16] ww.gvw.com/aktuelles/newsletter/trade-news-de/januar-2014/wto-recht-doha-runde-kommt-auf-bali-wieder-in-die-gaenge.html

[17] Prof. Thomas Straubhaar (Universität Hamburg, Experte für internationale Wirtschaftsbeziehungen und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes HWWI), siehe auch )http://www.welt.de/wirtschaft/article122726072/Bali-ist-kein-Neuanfang-sondern-das-Ende-der-WTO.html

[18] ebenda

[19] wie vor

[20] taz vom 9. Dezember 2013, Seite 9

[21] https://www.urgewald.org/ sowie http://www.earthlink.de/