Wilhelm Neurohr

Gesendet: Donnerstag, 11. Juni 2015 um 15:38 Uhr
Von: "Wilhelm Neurohr" <Wilhelm.Neurohr@web.de>
An: europabuero@martin-schulz.eu
Betreff: Offener Brief an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum TTIP-Debakel im EU-Parlament

Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident Schulz,

noch allzugut habe ich Ihre progressiven Aussagen als SPD-Spitzenkandidat aus dem Europa-Wahlkampf 2014 vor Millionenpublikum zur Demokratie in Europa im Allgemeinen und zu TTIP im Besonderen im Ohr.

Trotz der von Ihnen selber beklagten Demokratie-Defizite der EU und der extrem niedrigen Wahlbeteiligung von 43% tragen Sie nun - neuerdings als Träger des Aachener Karlspreises für Ihre Verdienste" um Europa - alles dazu bei, den Demokratie-Abbau und damit die Europa-Skepsis der Bevölkerung noch zu verstärken.

Mit ihrer fadenscheinigen juristischen Begründung, mit der Sie am 10. Juni als Parlamentspräsident die Debatte und Abstimmung im EU-Parlament zur TTIP-Resolution "vertagt", d. h. verhindert haben, erweisen Sie sich einmal mehr - zusammen mit ihrem Partei-Vorsitzenden Gabriel und dem konservativen EU-Kommissionspräsidenten Juncker (der einen Bertelsmann-Lobbyisten als seinen obersten Kabinetts-Chef walten lässt) - als Lobbyist pro TTIP statt als Sachwalter der Bürgerinteressen.

Offenbar sind Ihnen die persönliche Freundschaft zu Juncker und opportunistische Interessen Ihrer "großen Koalition" in Straßburg wichtiger als eine offene Diskussionskultur im EU-Parlament, wenn diese nicht im Sinne der EU-Kommission, der Nationalregierungen, der großen Berliner Koalition oder der Brüsseler Lobbyisten funktioniert. Das zeigte sich schon bei Ihrer Verhinderung eines Untersuchungsausschusses zu dem LuxLeaks-Skandal.

Damit haben Sie der Demokratie in Europa und der Bedeutung des Schein-Parlamentes einen schweren Schaden zugefügt und sollten daraus die Konsequenzen ziehen.

Persönlich bin ich im Nachhinein froh, dass Sie im Wahlkampf keine Mehrheit für Ihre eigenen Ambitionen auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten erhalten haben. Da passt Herr Juncker als Mitverantwortlicher für den LuxLeaks-Skandal (und nach seinem Rüktritt als Luxemburger Premierminister wegen der Geheimdienstaffäre) schon besser in die Führungsriege. Deren ausgewechselten Kommissare (von Frau Reding als Kommission-Vizepräsidentin über Herrn Barroso bis hin zum Handelskommissar Karel de Gucht und dem Umweltkommissar Potocnik, früher auch der deutsche Kommissar Verheugen) haben sich ja alle ohne Karenzzeit als Seitenwechsler zur Wirtschaft und damit als Lobbyisten entpuppt.

Darf man gespannt sein, wohin sich Herr Schulz nach der Halbzeit der Parlamentsperiode orientieren wird?

Es wäre hilfreich, wenn Sie ihre eigene Haltung zu den Schiedsgerichten und zu den anderen Problempunkten von TTIP, CETA und TiSA endlich einmal öffentlich, eindeutig und unmissverständlich erklären würden - oder teilen Sie etwa auch die Auffassung von Frau Merkel und der Bundesregierung (laut Homepage-Eintrag vom 11. Juni), dass die TTIP-Verhandlungen zu beschleunigen und bis zum Jahresende 2015 in den Grundzügen stehen sollen? Und sind sie ebenso "froh" wie Frau Merkel, dass es US-Präsident Obama geschafft hat, vom Kongress ein "Fast-Track-Verfahren" bekommen zu haben, mit dem sichergestellt ist, dass der Kongress ein von der Regierung ausgehandeltes Freihandelsabkommen nicht nachträglich ändern kann....?

Bitte beantworten Sie der Öffentlichkeit die Frage, ob Sie dergleichen auch in Bezug auf das EU-Parlament anstreben und ob Ihre undemokratische Maßnahme vom 10. Juni bereits ein Vorgriff darauf sein sollte?

Mit enttäuschten Grüßen

Wilhelm Neurohr

www.Wilhelm-Neurohr.de

ww.iwipo.eu

Antwort aus Straßbourg vom 15. Juni:

Gesendet: Montag, 15. Juni 2015 um 16:38 Uhr

Von: "AskEP@europarl.europa.eu" <AskEP@europarl.europa.eu>
An: "AskEP@europarl.europa.eu" <AskEP@europarl.europa.eu>
Betreff: Your question to the European Parliament regarding TTIP

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Referat Bürgeranfragen des Europäischen Parlaments bestätigt den Eingang Ihrer Nachricht an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, in der Sie Ihre Kritik an dem geplanten Handelsabkommens EU-USA (TTIP) erläutern.

Im Namen des Europäischen Parlaments können wir Ihnen versichern, dass die zahlreich geäußerten Sorgen rund um das geplante Handelsabkommens EU-USA (TTIP) sehr ernst genommen werden. Deshalb werden die Europaabgeordneten die ausgehandelten Vertragstexte vor der Abstimmung eingehend prüfen und debattieren und dann jeweils entweder zustimmen oder ablehnen.

Derzeit arbeitet das Europäische Parlament an einem Zwischenbericht zu den laufenden Verhandlungen. Der federführende Ausschuss für internationalen Handel hat am 28. Mai 2015 den Entwurf für die Empfehlungen an die Verhandlungsführer der Europäischen Kommission verabschiedet. Diesen Empfehlungen zufolge sollte ein Abkommen zwischen der EU und den USA den Zugang europäischer Unternehmen zum US-Markt erleichtern; es darf jedoch keine EU-Standards untergraben oder das Recht auf Regelungen im öffentlichen Interesse einschränken.

Die ursprünglich für den 10. Juni 2015 geplante Debatte und Abstimmung über die TTIP-Empfehlungen des Europäischen Parlaments wurde aufgrund der hohen Anzahl der Änderungsanträge verschoben.

Das Freihandelsabkommen befindet sich nun wieder auf der Agenda des Ausschusses für Internationalen Handel, der nun mehr Zeit hat, über dieses wichtige Thema nachzudenken und die Anzahl der eingereichten Änderungsanträge so weit wie möglich zu reduzieren. Weitere Informationen sind verfügbar in der Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 11. Juni 2015.

Das Europäische Parlament setzt sich seit Beginn der Verhandlungen dafür ein, dass die hohen europäischen Standards beim Verbraucherschutz, bei den sozialen Rechten, beim Gesundheits-, Umwelt- und Datenschutz in den Handelsabkommen bewahrt und verbessert werden. Das hat das Parlament bereits vor dem Start der TTIP-Verhandlungen in seiner Entschließung vom 23. Mai 2013 deutlich gemacht.

Das Europäische Parlament hat die Europäische Kommission zudem erfolgreich dazu gedrängt, die Transparenz der Verhandlungen zu stärken und die EU-Verhandlungstexte für TTIP zu veröffentlichen.

Gern informieren wir Sie, dass internationale Handelsabkommen mit Drittstaaten immer von der Europäischen Kommission im Auftrag und im Namen der EU verhandelt werden, da Handelsfragen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen.

Die Kommission wird dabei nur aktiv, wenn die Mitgliedstaaten sie vorher mittels eines Verhandlungsmandats, das für TTIP inzwischen veröffentlicht wurde, offiziell dazu ermächtigt haben. Es sind auch die Mitgliedstaaten, die festlegen, welche Ziele die Kommission bei den Verhandlungen im Namen der EU erreichen soll.

Das Europäische Parlament nimmt nicht an den Verhandlungen teil und hat somit keine Möglichkeit, die Verhandlungen abzubrechen. Das Abkommen kann jedoch nur mit der Zustimmung des Parlaments beschlossen werden. Das Parlament kann den Text des ausgehandelten Abkommens nicht abändern, sondern muss dem endgültigen Text in seiner Gesamtheit entweder zustimmen oder ihn ablehnen. Das Parlament kann jedoch Empfehlungen zu den laufenden Verhandlungen beschließen und somit deutlich machen, wie das Abkommen seiner Auffassung nach in der endgültigen Form aussehen sollte.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat in einer Rede vom 21. April 2015 die Details zur Rolle der Parlamente bei Verhandlungen um internationale Verträge erläutert.

Das Europäische Parlament hat zwei Sonderwebseiten rund um die TTIP-Verhandlungen eingerichtet: "The European Parliament and the TTIP" und "TTIP: Chance für den Europäischen Binnenmarkt?".

Offizielle Dokumente und aktuelle Informationen zum Freihandelsabkommen EU-USA sind verfügbar auf der TTIP-Webseite der Europäischen Kommission.

Wir hoffen, dass diese Informationen Ihr Vertrauen in die Arbeit des Europäischen Parlaments stärken.

Mit freundlichen Grüßen

Referat Bürgeranfragen

www.europarl.europa.eu/askEP

Rechtlicher Hinweis

Bitte beachten Sie, dass die vom Referat Bürgeranfragen des Europäischen Parlaments erteilten Informationen nicht rechtsverbindlich sind.