Wilhelm Neurohr

Leserbrief an die taz zum Kommentar von Silke Mertens vom 04. Februar 2022 „Nord Strem2 muss auf den Tisch“:

„Bevölkerungsmehrheit will Entspannungspolitik statt Konfrontation“

Möchte die taz zum Russland-Ukraine-Konflikt jetzt die Medienpropaganda von „Welt“, „FAZ“ oder sogar „BILD“ rechts überholen? Silke Mertens von der Leitung der taz-Meinungsredaktion bedauert in ihrem undifferenzierten Kommentar, dass Deutschland sich nicht bei den Waffenlieferanten an die Ukraine einreiht. Sie fordert deshalb in ihrem Kommentar, zumindest „das schärfste Schwert Nordstream 2“ gegen Russland endlich einzusetzen. Denn besonnene Entspannungspolitik á la Willy Brandt sei quasi sozialdemokratische Nostalgie und im aktuellen Krisenfall nicht mehr zeitgemäß.

Das sieht die Mehrheit der Bevölkerung völlig anders, wie eine ganz aktuelle repräsentative Forsa-Umfrage ergab: 90% der Bundesbürger ist eine gute Beziehung zwischen Russland und Deutschland wichtig. Eine große Mehrheit spricht sich für eine eigenständige europäische Außenpolitik aus, bei der auch russische Interessen berücksichtigt werden. Jeder zweite hält es für richtig, dass die Ostsee-Pipeline mit Russland als verlässlichem Gaslieferanten gebaut wurde. Laut vorheriger Emnid-Umfrage sind sogar 75% für die Inbetriebnahme der Pipeline und nur 17% dagegen. Über 80% lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Und laut Infratest-Umfrage sollten in dieser Krisenzeit deutsche Entscheidungen auch gegen die Positionen der europäische Partner durchgesetzt werden. Außerdem wünschen sich die Bundesbürger laut Umfrage eine Emanzipation von den USA.

Demgegenüber liegt die taz-Minderheits-Meinungsredaktion völlig neben der eindeutigen Meinung des demokratischen Souveräns und sicher auch der meisten taz-Leser. Eine mediale „Umerziehung“ zu mehr Härte gegenüber dem „Aggressor“ wird nicht fruchten. Schon der DGB hatte sich 2020 namens seiner fast 6 Millionen Mitglieder mit einem Aufruf gegen das größte Militärmanöver der NATO seit Ende des kalten Krieges („DEFENDER 2020“) gewandt, als mit umgekehrten Vorzeichen 38.000 Soldaten aus 18 NATO-Ländern entlang der russischen Grenze in Polen und im Baltikum provokativ aufmarschierten, mit Unterstützung von kampfstarken Großverbänden aus den USA mit 20.000 weiteren Soldaten und tonnenschwerem Kriegsgerät. Ausgebremst wurde die provokative Aggression des Westens gottlob durch die Corona-Pandemie. Der DGB forderte stattdessen Konfliktprävention und Abrüstung statt militärischer Drohungen: „Statt Konfrontation sind Entspannungspolitik und Kooperation mit Russland das Gebot der Stunde.“ Das möchte man eigentlich auch in der taz lesen, die einen bedenklichen Kurswechsel vollzogen hat.

Wilhelm Neurohr

Haltern am See