Wilhelm Neurohr

Kommentar zu den unwürdigen Arbeitsverhältnissen an Schlachthöfen:

Wird der Fall Tönnies zum Fall Brinkhaus?

Handfester Skandal:

Lobbypolitik und politische Machtspiele zu Lasten der Leiharbeiter

und zugunsten von Tönnies im Wahlkreis von MdB Ralph Brinkhaus

Die unwürdigen Arbeitsverhältnisse an den Schlachthöfen und in der Fleischindustrie sollten mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz zum Verbot der Leiharbeit ab 1. Januar 2021 eigentlich beendet werden. Doch die CDU-Bundestagsfraktion bremste in 3. Lesung auf Druck der Lobby den Gesetzentwurf ihrer eigenen Regierung aus. Sorgt sich der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus andernfalls um das Versiegen der großzügigen 6-stelligen Parteispenden durch Herrn Tönnies in seinem Gütersloher Wahlkreis?

Der vor zwei Jahren mit der knappen Mehrheit von 125 zu 112 Stimmen neu gewählte Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, hatte für seine Kampfkandidatur ein erklärtes Motiv: „Mein Wunsch nach einer aktiveren Rolle der Unionsfraktion gegenüber der Regierung“. Diesen Wunsch erfüllte er sich endlich im November 2020: Seine Bundestagfraktion fiel der eigenen Regierung und dem Koalitionspartner bei der Vorlage des überfälligen „Arbeitsschutzkontrollgesetzes“ in den Rücken – obwohl er noch 2018 beteuert hatte: „Zwischen mir und der Kanzlerin Merkel passt kein Blatt Papier“. Zudem beteuerte er die parteiübergreifende Einigkeit mit dem Koalitionspartner in dieser Angelegenheit.

Wird die Fortsetzung des Tönnies-Skandals zum Fall Brinkhaus?

Der von allen Unionsministern und -ministerinnen und der Kanzlerin mitgetragene und abgestimmte Gesetzesentwurf der Koalitionsregierung aus dem Arbeitsministerium wurde in 3. Lesung vertagt, weil lobbyhörigen Unionspolitikern in der Fraktion die geplante Abschaffung der Leiharbeit in der Fleischindustrie nun auf einmal doch nicht gefiel. Wie sagte Ralph Brinkhaus vor seiner Wahl als Fraktionschef. „Ich kandidiere für neuen Schwung in der Koalition“. Schwungvoll bremste seine Fraktion in der letzten Lesung das Gesetz aus, weil die Lobby der Fleischbranche das Gesetz gerne aufweichen wollte und massiv intervenierte. Die Wursthersteller rebellierten geradezu gegen das geplante Leiharbeitsverbot – und die CDU-Bundestagfraktion knickte im letzten Moment ein. Damit wurde der Vorgnag auch zum Fall Brinkhaus.

Noch im Sommer hatten sich während des Tönnies-Skandals alle Parteien lauthals und schwungvoll empört über die jahrzehntelangen menschen-unwürdigen und sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen der Werksvertrags- und Leiharbeiter in den Schlachtbetrieben. Und noch Mitte Oktober tönte Ralph Brinkhaus laut „Westfälischen Nachrichten“: „Wir sind uns mit der SPD einig, dass das Gesetz in diesem Jahr kommen und im nächsten Jahr in Kraft treten muss. Beim Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten soll es ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit geben“. Doch was schert ihn sein Geschwätz von gestern?

Das Handelsblatt zitiert am 23.11 die markigen Worte von Ralph Brinkhaus nach dem Tönnies-Skandal: Jetzt müsse die Politik eben den „großen Hammer rausholen“. Der Corona-Ausbruch hatte ein Schlaglicht auf die oft miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen von osteuropäischen Arbeitern in der Fleischindustrie geworfen. Der Schutz der Beschäftigten müsse nun absolute Priorität haben, versprach der CDU-Politiker – „insbesondere vor wirtschaftlichen Interessen“. Heute sieht Brinkhaus’ Hammer eher wie ein „Hämmerchen“ aus.

Am lautesten tönte allen voran der NRW-Minister Laumann vom Arbeitnehmerflügel der Union, der „den Sumpf in der Fleischbranche endlich austrocknen“ wollte. Doch die Brinkhaus-Fraktion im Bundestag bewegte auch ihren Parteifreund aus NRW zum Einlenken zugunsten irgendwelcher fauler Kompromisse, die der Fleischlobby entgegenkommen. Getreu dem Motto von Ralph Brinkhaus: „Ich werde die Arbeit der Union mit Augenmaß prägen“.

Großzügige Parteispenden von Tönnies an die CDU im Wahlkreis von Fraktionschef Ralph Brinkhaus

Was steckt dahinter? Bekanntlich vertritt der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus aus Rheda-Wiedenbrück – dem Hauptsitz des Fleischkonzerns Tönnies – den Wahlkreis Gütersloh. Von hier aus steuert Tönnies seine 19 Produktionsstandorte in Deutschland und 10 Schlachtbetriebe im europäischen Ausland. Und für die Sportvereine aus dem gesamten Kreis Gütersloh sponserte er die „Tönnies-Arena“ als Fußballstadion auf seinem Werksgelände in Rheda-Wiedenbrück mit über 7.000 Tribünenplätzen. Auch wenn MdB Ralph Brinkhaus als eingeschriebenes Mitglied beim FC Köln nicht zu Tönnies Schalke-Club gehört, wird ihm das Stadion-Geschenk in seinem Wahlkreis gefallen, erspart es doch seiner Heimatkommune eigene Investitionen.

Die dadurch entstandene Nähe zwischen den Wahlkreispolitikern und Tönnies spiegelt sich in den großzügigen Parteispenden von Tönnies an die dortige CDU wieder: In den Rechenschaftsberichten der Parteien sind für die Jahre 2000 bis 2017 insgesamt neun Einzelspenden der B. & C. Tönnies GmbH & Co. KG, der Tönnies Holding GmbH & Co KG und von Clemens Tönnies als Privatperson an die CDU finden.

Die Höhe der Spendengelder variierte zwischen 11 900 Euro im Jahr 2015 bis hin zu 32 500 Euro im Wahljahr 2017. Insgesamt flossen in den vergangenen 18 Jahren 158 474 Euro von Tönnies an die CDU, als fast 160.000 €! Spenden an andere politische Parteien finden sich in der Datenbank nicht. An den CDU-Landesverband NRW sind die Parteispenden nicht gegangen, wie CDU-Landesvorsitzender Armin Laschet gegenüber der Presse beteuerte.

Sind die großzügigen Spendengelder von Tönnies an die Bundespartei gegangen oder an den CDU-Kreisverband Gütersloh? Jedenfalls nicht an die Konkurrenz-Parteien. Als gelernter Steuerberater und ehemaliger Wirtschaftsprüfer wird Ralph Brinkhaus auf korrekte Verbuchung Wert legen, schließlich ist er ja nicht der Steuerberater von Tönnies.

Christliche Ethik und gesellschaftliche Werte – nicht für rumänische Leihabeiter gültig?

Der SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann hat die CDU im Juli 2020 aufgefordert, die Spenden, die sie von Fleischunternehmer Tönnies erhalten habe, zurückzuzahlen. Gleichzeitig kritisierte er den zu zahmen Umgang der CDU/FDP-Landesregierung mit dem Rheda-Wiedenbrücker Unternehmen, das wegen der Corona-Masseninfektionen in seinen Produktionshallen in die Schlagzeilen geraten war.

Hat der plötzliche Sinneswandel in der CDU-Bundestagsfraktion, mit dem die menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse der Leiharbeiter in der Fleischindustrie womöglich noch weitere Jahrzehnte so skandalös bestehen bleiben sollen, etwas mit den Spenden im „Tönnies-Wahlkreis“ von Ralph-Brinkhaus zu tun? Ein Schelm, wer böses dabei denkt. Denn Brinkhaus bezeichnet sich auf seiner Homepage selber als „praktizierender Katholik“ und betont. „Was die Gesellschaft zusammenhält, sind die Werte.“

Doch zählen die Werte auch für rumänische Leiharbeiter? Niemand mag glauben, dass ein gläubiger Christ aus einer christlichen Partei mit einem starken Arbeitnehmerflügel solche menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse über Jahrzehnte erträgt, ohne dass sein Gewissen pocht. (Obwohl Brinkhaus 1968 geboren ist, erscheint er nicht wie ein „Alt-68-er“). Wer aber sind dann die Übeltäter in der CDU-Bundestagsfraktion?

Brinkhaus selber kann es nicht sein, denn im Radio Gütersloh vom 3. November 2002 hieß es: „Brinkhaus werden höchste Ämter zugetraut – Brinkhaus als Bundeskanzler?“ Er wurde wiederholt für höhere Ämter ins Gespräch gebracht – obwohl seine Fraktionskollegen über ihn sagen: Er ziehe „westfälisch-stur“ seine Vorhaben durch. Hat er hierbei auch in der Fraktion stur durch-regiert oder bewegt er sich doch noch, getreu seinem Motto: „Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze“? Und was ist dabei mit würdigen Arbeitsplätzen?

Politische Sturheit ersetzt keine Werte, sondern führt zum Koalitionskonflikt

Manchmal kann Sturheit, gepaart mit der Illoyalität zur eigenen Regierung sowie das Streben nach höchsten Ämtern auch zum tiefen Fall führen – oder manchmal auch zu Rücktrittsforderungen. Jedenfalls war der Spruch von Brinkhaus verräterisch: „Zwischen mir und der Kanzlerin passt kein Blatt Papier“. Das hatten auch Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder seinerzeit gegenseitig beteuert – und kurz darauf zerbrach die enge Bindung und erwies sich als unüberbrückbare Kluft. Einer trat zurück. Aber im vorliegenden Fall wird die Kanzlerin mit ihrer stoischen Ruhe kaum den Konflikt mit ihrer Fraktion wagen – es sei denn, daraus entsteht 10 Monate vor der Bundestagswahl und inmitten des Corona-Krisenmanagements eine handfeste Koalitionskrise.

Das wird wohl nicht einmal die SPD-Bundestagsfraktion wagen – und so werden die ausgebeuteten Leiharbeiter in der Fleischindustrie weiterhin die Verlierer sein? Es sei denn, alle Parteien besinnen sich noch rechtzeitig vor der Wahl auf die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde. Und die Regierungsmitglieder erinnern sich an ihren Amtseid, das Wohl des Volkes zu mehren, Schaden von ihm zu wenden und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Spaltung statt Zusammenhalt der Gesellschaft – Thema im Wahljahr 2021

Gesundheitsgefahren drohen nicht nur durch Corona, sondern auch am Fließband im Schlachtbetrieb, und die Gerechtigkeit gilt auch für die Arbeitswelt, für die Gleichbehandlung der auswärtigen Leiharbeiter und ihren Arbeitsschutz – ansonsten entsteht ein Schaden für unsere demokratische Gesellschaft insgesamt und ihre (christlichen) Werte. Wie sagte Ralph Brinkhaus so schön: „Was die Gesellschaft zusammenhält, das sind ihre Werte“ – also soll er doch aufhören, politisch zu spalten zum Nachteil der Schwächsten in der Gesellschaft und zum Vorteil des spendenfreudigen Milliardärs Tönnies. Dieser verdankt seinen Reichtum auch seinen vielen Leiharbeitern und den allzu gefälligen Politikern. So vertieft man die Spaltung zwischen oben und unten.

Jedenfalls macht der ausbeuterische Fleischkonzern, unbehelligt vom Gesetzgeber, ungeniert weiter mit seiner Billigfleischproduktion zu Lasten von Mensch und Tier und Umwelt, obwohl er während der Corona-Krise in die negativen Schlagzeilen geriet und Betriebe vorübergehend schließen musste: Nun ist er weiter auf dem Expansionskurs durch Übernahme eines insolventen Wurstproduzenten sowie durch den Bau eines Schlachthofes in China für bis zu 6 Mio. Schweine jährlich. Insgesamt tätigt Tönnies Gesamtinvestitionen im Volumen von 500 Mio. € und macht seine Billigfleisch-Produktion wieder salonfähig, unbehelligt vom Gesetzgeber.

Das Ganze dient auch der Wirtschaftsförderung im Wahlkreis Gütersloh und damit dem Ansehen des dortigen CDU-Bundestagsabgeordneten Ralph Brinkhaus als christlichem Wertepfleger mit seinem Motto: „Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze“. Doch die Arbeitsplätze für 70% der in der Schlachtindustrie Beschäftigten sind unsicher und prekär, das kann auch mittels Parteispenden nicht weiter toleriert werden. Spätestens beim nächsten Fleischeinkauf beim Discounter werden wir wieder daran erinnert…

Deshalb gehört dieser Vorgang auf Wiedervorlage im Bundestagswahljahr 2021 – nicht vergessen!

Wilhelm Neurohr

24. November 2020