Wilhelm Neurohr

5. November 2020: Auftakt einer 4-teiligen Veranstaltungsreihe zur würdigen Arbeit

Unwürdige Arbeitsverhältnisse - Der Fall der Fleischindustrie

Vortrag und Diskussion mit Pfarrer Peter Kossen und NGG-Regionalgeschäftsführer Helge Adolphs

Ob in den Schlachtbetrieben der Fleischindustrie, in der Bauindustrie oder in der Landwirtschaft, im Versandhandel oder in der Pflegebranche – die prekären Arbeitsverhältnisse und unzumutbaren Arbeitsbedingungen sind ein Skandal.

In der Veranstaltungsreihe (Un-)Würdige Arbeit wollen wir uns bei der ersten Veranstaltung mit den Verhältnissen in der Fleischindustrie beschäftigen.

Vor allem osteuropäische Arbeitskräfte sind als Arbeitnehmer oder (Schein-)Selbstständige für Werkvertragsunternehmen oder Leih-arbeitsfirmen in der Fleischindustrie tätig. Sie arbeiten häufig für Niedriglöhne und leben in unzumutbaren Wohnverhältnissen.
Jahrzehntelang wurde weggeschaut; erst die jüngsten Skandale bei Tönnies und Westfleisch durch die Corona-Fälle haben die Politik endlich zum Handeln veranlasst: Geplant ist ein gesetzliches Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in großen Schlachthöfen.

Zu den Referenten:

Peter Kossen ist Leitender Pfarrer in Lengerich und u.a. Vorstandsmitglied der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Bistum Münster. Peter Kossen wendet sich als engagierter und mutiger Einzelkämpfer seit Jahren gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen, die vor allem durch das System der Werkvertragsvergabe an Subunternehmen entstehen. Er fordert aus christlicher Überzeugung würdige Arbeit. Sein Credo: „Kirche muss den Mut haben, Schwächere zu schützen, auch wenn es Konflikte gibt. Peter Kossen nennt die Missstände beim Namen und spricht von „Sklaverei, Ausbeutung, Menschenhandel mit mafiösen Strukturen und organisierter Kriminalität“. Die Leih- und Werkvertragsarbeiter „werden in Schrottimmobilien untergerbacht und in Ghettos isoliert und diskriminiert. Die Ausgebeuteten werden betrogen und wie Wegwerfmenschen statt Mitbürger behandelt“. Peter Kossen gründete den gemeinnützigen Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ e. V. (https://www.wuerde-gerechtigkeit.de), um die Menschenrechtsverletzungen endlich zu beenden. Der Verein betreut Betroffene und ermöglicht ihnen auf Spendenbasis kostenlose anwaltliche Beratung und Begleitung vor Gericht.

Helge Adolphs (Gewerkschaft NGG) hat im August 2015 die Geschäftsführung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten der Region Münsterland übernommen und hat für mehr als 5 Jahre die Region Südwestfalen als Geschäftsführer geleitet. Aus Sicht der NGG hat die Fleischindustrie und Fleischverarbeitung die Gewerkschaft seit jeher und besonders in diesem Jahr vor wichtige Aufgaben und besondere Herausforderungen gestellt. Das Thema der Werkverträge ist für die NGG nicht neu und wird gewerkschaftlich und gesellschaftlich diskutiert und in vielen Fällen auch skandalisiert. Aber erst die Corona-Pandemie rückte dieses Thema nun in das breite öffentliche Interesse und zwang die Politik, sich diesem Problem des modernen „Sklaventums“ anzunehmen und gesetzliche Regelungen vorzubereiten und zu schaffen. Die sich aus dem geplanten Gesetz ergebenden arbeitsrechtlichen Veränderungen werden aus Sicht der NGG die volle gewerkschaftliche und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfordern.

Noch ein Hinweis:

Für die Veranstaltung wird kein Eintrittsgeld erhoben, aber stattdessen eine Spende für den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit e. V.“ empfohlen. Spendenkonto: https://www.wuerde-gerechtigkeit.de/mitgliedschaft-spenden

Eine Teilnahme ist nur nach vorheriger (online-)Anmeldung mit Angabe aller zur Rückverfolgbarkeit notwendigen Kontakt-daten über das unten stehende Formular möglich.

Detailliertes Programm als pdf

https://www.könzgenhaus.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Politische_Bildung/Un-Wuerdige_Arbeit_Veranstaltungsreihe.pdf

Veranstaltungsreihe (Un-)Würdige Arbeit

m Januar 2021 geht es in einer zweiten Veranstaltung um würdige Arbeit in Pflege- und Sozialberufen sowie im März um würdige Arbeit jenseits der Sozialverhältnisse. Die letzte Veranstaltung im Mai 2010 widmet sich der gesellschaftspolitischen Frage der würdigen Arbeit in einer solidarischen Gesellschaft.

Unser Ziel ist würdige Arbeit. Und wir wollen den Schwachen eine Stimme geben. Würdige Arbeit ist gekennzeichnet durch einen sicheren Arbeitsplatz mit einem festen und verlässlichen Einkommen in ausreichender und gerechter Höhe, das nicht zu Altersarmut führt. Ein Arbeitsplatz, an dem man vor körperlicher Beeinträchtigung geschützt ist. Das ist aber nicht alles: der Würde des Menschen in der Arbeit ist eine interessante, abwechslungsreiche und sinnhafte Arbeit förderlich, eine Tätigkeit, auf die man stolz sein kann. Eine, die mit guten sozialen Beziehungen zu KollegInnen und VorgesetztInnen einhergeht. Die Möglichkeiten bietet, selbst Einfluss auf Arbeitsinhalt und ‑ablauf nehmen (Partizipation) und sich weiterentwickeln zu können (Lernen in der Arbeit).

Wir wollen in der Veranstaltungsreihe „(Un-)Würdige Arbeit“ aufklären über unwürdige Arbeit (z. B. die aktuelle Situation der Randbelegschaften in der Fleischindustrie). Wir wollen nicht nur den Zustand der Würde der Arbeit diagnostizieren, sondern auch Ansätze zur Therapie, zur Reform diskutieren. Solche Vorschläge reichen von grundsätzlichen, kurzfristig kaum erreichbaren Veränderungen unseres Wirtschaftssystems bis hin zu rasch umsetzbaren und daher kaum weniger wichtigen realpolitischen Reformen.

Auch müssen wir über die verengte Perspektive einer reinen Gesellschaft der Erwerbsarbeit hinausgehen. Arbeit beeinflusst unser Leben. Leben ist mehr als Arbeit. Arbeit ist Teil eines gelingenden Lebens.

Wie wir arbeiten, hat Folgen für unser gesamtes Leben. Lange Arbeitszeiten beeinträchtigen die sog. Work-Life-Balance; starke Arbeitsbelastungen führen zu Erkrankungen; Altersarmut ist bei Geringverdienern geradezu vorprogrammiert. Wie wir arbeiten, hat Folgen für die gesamte Gesellschaft, etwa in Form von Altersarmut und Kosten des Gesundheitssystems durch arbeitsbedingten Erkrankungen. Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Sorgearbeit in der Familie und anderen Gemeinschaften sowie Freiwilligenarbeit – all das ist unbezahlte Arbeit, keine Erwerbsarbeit. Die durch eine Erwerbsarbeits- und Marktgesellschaft geprägten Normen sind aber nach wie vor auf eine Geringschätzung von Nicht-Erwerbsarbeit ausgerichtet. Und nicht zuletzt: Unternehmen und Betriebe sind Orte der Chancenzuteilung. Damit beeinflussen unternehmerische Entscheidungen den gesamten Lebensverlauf von Arbeitnehmern und ihren Familien bzw. Lebensgemeinschaften. Wir wollen daher auch fragen, ob ArbeitnehmerInnen ausreichend an unternehmerischen Ent­scheidungen und ihren Folgen beteiligt sind.