Wilhelm Neurohr

Zum Oxfam-Bericht: Milliardäre und Armut

Soziale Ungleichheit befördert Rechtspopulismus und gefährdet Demokratie

Zerreißprobe durch ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung

Die Gesellschaft und die Demokratie stehen vor einer immer größeren Zerreißprobe. Die Krisen und Kriege der vergangenen Jahre haben die Schere zwischen Arm und Reich auf der Welt noch weiter auseinandergetrieben: Während die fünf reichsten Menschen der Welt in den zurückliegenden drei Krisenjahren ihr Vermögen mehr als verdoppelt haben, wurden zugleich fünf Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent, noch ärmer. Das Vermögen aller Milliardäre insgesamt wuchs durch bloße (leistungslose) Kapitalgewinne dreimal so schnell wie die Inflationsrate, während die Ärmeren in Verzweiflung leben.

Niemals zuvor hat es eine solche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen und so viel Gier gegeben. Während Milliarden von Menschen die Schockwellen von Pandemie, Inflation und Krieg ertragen müssen, boomen die Vermögen der Milliardäre. Wenn es so weitergeht, gibt es demnächst die ersten Billionäre. Das erfuhren wir aktuell von Oxfam, der weltweit größten Nothilfe- und Entwicklungsorganisation. Bei 800 Millionen Beschäftigten halten die Löhne laut Oxfam nicht mit der Inflationsrate mit. Jeder von ihnen hat in zwei Jahren im Schnitt fast einen Monatslohn eingebüßt.

Während wir über Mindestlöhne streiten und über angeblich zu hohes Bürgergeld für die Ärmsten am unteren Ende der Gesellschaft, lehnt die Regierung in Deutschland unter FDP-Finanzminister Lindner (als „Schutzpatron der Reichen“) die überfällige Besteuerung hoher Vermögen ab. Dabei ist auch in Deutschland das Gesamtvermögen der fünf reichsten Bürger seit 2020 inflationsbereinigt um fast drei Viertel (74%) gewachsen, von rund 89 auf etwa 155 Milliarden US-Dollar.

Die soziale Frage spaltet die Gesellschaft mehr als die Migrationsfrage

Es ist weniger die Migrationsfrage als vielmehr die soziale Frage und Gerechtigkeitsfrage (einschließlich Steuergerechtigkeit), die unsere Gesellschaft spaltet und die Demokratie gefährdet sowie die Rechtspopulisten stärkt. Das begreifen anscheinend weder die Regierungsparteien noch die Oppositionsparteien, die sich nun der erstarkenden AfD konzeptionslos entgegenstellen. Die wirtschaftlichen Verwerfungen seit der Corona-Pandemie und den Kriegsfolgen haben einen erheblichen Einfluss auf die Ausbreitung rechtspopulistischer Ideologien, wie es Forscher ermittelt haben. Denn auch hier spielen der Faktor Arbeit und die finanziellen Verhältnisse in den Haushalten eine Rolle.

Soziale Ungleichheit: 1% der Weltbevölkerung besitzt die Hälfte des Gesamtvermögens

Schon 2019 hatte der DGB eine Broschüre veröffentlicht mit dem Titel: „Ungleichheit weltweit - Wie der Finanzmarktkapitalismus die Transformation der Arbeitswelt herausfordert“. Es sind Zahlen darin, die aufrütteln: Rund ein Prozent der Weltbevölkerung besitzen circa die Hälfte des Gesamtvermögens. Etwa zehn Jahre nach der Finanzkrise hat sich die Zahl der Milliardäre weltweit nahezu verdoppelt. Zugleich gelingt es deutlich weniger Menschen, sich aus extremer Armut zu befreien.

Von der sozialen Ungleichheit infolge der immer größer werdenden Lücke zwischen Arm und Reich sind besonders Frauen und Mädchen betroffen. Im weltweiten Vergleich besitzen Männer 50 Prozent mehr Vermögen als Frauen. Zudem sind die Gehälter von Frauen im Durchschnitt rund 23 Prozent niedriger als das der Männer.

Nur 2 % bis 5 % Vermögenssteuer für Superreiche würde Finanzprobleme lösen helfen

Die Entwicklungsorganisation Oxfam schlägt zur Finanzierung der gesellschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben und zur Herstellung sozialer und steuerlicher Gerechtigkeit folgendes Vermögensteuermodell vor: Zwei Prozent auf Vermögen von mehr als fünf Millionen US-Dollar, drei Prozent auf Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar und fünf Prozent auf Vermögen, die eine Milliarde Dollar überschreiten.

Denn die ausbleibenden Steuergelder der Superreichen müssten in Deutschland wie weltweit eigentlich in den Klimaschutz, den Ausbau von Bildung, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und soziale Sicherung investiert werden. Doch dafür sind keine ausreichenden Gelder verfügbar wegen der falschen Steuer- und Verteilungspolitik, die weiterhin eine Umverteilung von unten nach oben befördert.

„Soziale Unwucht“ bei den Entscheidungen der Ampelregierung

Jüngst beklagte der verdi-Gewerkschaftsvorsitzende Frank Werneke die „soziale Unwucht“ bei den „irren Entscheidungen der Ampelregierung“ mit „Griff in die Sozialkasse und Rentenkasse zugunsten von Lieblingsprojekten der FDP“ wie das unsinnige „Wachstumschancengesetz“. Es sei schlimm, dass sich SPD und Grüne von der kleinen FDP „im Nasenring durch die Arena ziehen“ ließen. Werneke: „Das Ganze ist ein tägliches Fest für die AfD“. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und Arbeitnehmerschaft mit der Regierungspolitik nehme täglich zu.

In der Ampelregierung hat sich die FDP vor allem mit einem rigorosen "Nein" zu fast allen sozialen Vorhaben der Koalitionspartner profiliert – ob zur Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Reichensteuer, Kindergrundsicherung, Bürgergelderhöhung, Lockerung der Schuldenbremse usw. Damit hat sie wesentlichen Anteil am Unmut der Bevölkerung und dem auch daraus mit resultierenden Zuspruch für die AfD.

Lobbypartei in der Ampelregierung begünstigt Rechtspopulismus

Doch solange eine reine Lobbyisten-Partei für die Besserverdienenden wie die FDP, die von 89% der Bevölkerung nicht gewählt und damit nicht gewollt wurde, den Ton in der Ampelregierung angibt, solange ist kein sozialer Frieden zu erwarten. Die FDP war nur insofern die größte Profiteurin der Bundestagswahl 2012, als sie mit 4,4 Mio. € die mit Abstand meisten Großspenden aus der Wirtschaft eingenommen hat - und somit käuflich wurde? Die FDP profitierte in großem Stil mit 33 Großspenden von Finanzdienstleistern, Kapital- und Beteiligungsgesellschaften, Immobilienunternehmen sowie Billigläden etc. Die höchsten Einzelspenden kamen mit 200.000 € vom dubiosen Finanzunternehmer Maschmeyer sowie mit 750.000 € vom Medienmanager Kofler, der damit die Grünen verhindern wollte.

An Milliardäre wagt sich keine Partei heran, lieber an soziale Verlierer?

Weder für das Gemeinwohl und die soziale Gerechtigkeit noch für die Demokratie kann dabei etwas Gutes herauskommen – es sei denn, die FDP fliegt mit unter 5% wieder verdientermaßen aus dem Bundestag wie 2013… Doch auch die anderen Parteien, weder SPD noch CDU oder Grüne werden sich an die Wachstumsbegrenzung bei den Milliardären (als „Leistungsträger“?) über eine gerechte Steuerpolitik heranwagen. Viel lieber arbeiten sie sich ganz unten bei den sozialen Verlierern wie vor allem an den „arbeitsfaulen“ Bürgergeld-Empfängern mit Streichungen und Kürzungen ab - und werben damit um Beifall und Zustimmung bei den Wählerschichten im ebenfalls verlierenden Mittelstand, sowie zugleich mit Annäherung an die AfD bei der Migrationspolitik. So geht Rechtspopulismus bis hinein in die Mitte der Gesellschaft und der Parteienlandschaft…

Wilhelm Neurohr, 15. Januar 2024

Siehe auch frühere Lokalkompass-Artikel des Autors zu diesem Themenbereich:

https://www.lokalkompass.de/c-politik/armut-in-deutschland-auf-hoechststand-keine-reaktion-der-politisch-verantwortlichen_a1670377

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/kinderarmut-in-deutschland-als-dauerzustand-steigende-statt-sinkende-armutsquoten-fuer-verlorene-generationen_a1907934

https://www.lokalkompass.de/duesseldorf/c-politik/was-wir-in-den-weihnachts-und-neujahrsansprachen-des-bundespraesidenten-und-bundeskanzlers-vermisst-haben_a1920154

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/ihr-da-oben-wir-da-unten-offener-brief-einer-buergergeld-bezieherin-an-friedrich-merz-und-christian-lindner_a1914560