Wilhelm Neurohr

Die Schulden in der Welt sind gigantisch, sie sind unbezahlbar. Jede Schuldenkrise, die periodisch über die kapitalistische Weltwirtschaft hereinbricht, ist dafür ein Beleg. Das ist kein Wunder, denn auch die Geldvermögen steigen in Höhen, die der normale Sterbliche niemals erreichen wird. Das zeigen die Statistiken über den Reichtum in der Welt, über Geldvermögen oder Kapitalbesitz.
Aktuelles Beispiel ist Griechenland. Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Elmar Altvater interpretiert die Schuldenkrise Griechenlands als Folge der Liberalisierung der Finanzmärkte seit den 1970er Jahren. Mit den Schulden sind seitdem auch die Geldvermögen gestiegen. Die Ungleichheit in aller Welt und daher auch in Europa hat zugenommen. Die Krisentendenzen sind so sehr zugespitzt, dass Fluchtbewegungen ausgelöst worden sind. Die Schulden müssen daher abgebaut, die Vermögens- und Einkommensungleichheit verringert werden.
Elmar Altvater war bis 2004 Professor an der Freien Universität Berlin. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter des globalisierungskritischen Standardwerks „Grenzen der Globalisierung“ (geschrieben zusammen mit Birgit Mahnkopf) und „das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen.“ Jüngste Veröffentlichungen sind „Marx neu entdecken“ und „Engels neu entdecken“ sowie die „Vermessung der Utopie“, ein Gespräch mit dem Ko-Autor Raúl Zelik über „Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft“.
Elmar Altvater ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac-Deutschland und Mitglied der Jury des „ständigen Tribunals der Völker“ mit Sitz in Rom.

Kurzbericht über die durchgeführte Veranstaltung:

Über 100 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer fanden sich am Freitag. 6. November in der Westfälischen Hochschule Campus Recklinghausen bei der ersten öffentlichen Vortragsveranstaltung des neuen Recklinghäuser Wissenschaftsinstitutes iwipo ein, wo Prof. Elmar Altvater zur Schuldenkrise vortrug und mit Prof. Heinz-J- Bontrup für die anschließende lebhafte Diskussion zur Verfügung stand. Daran beteiligten sich auch die Mitveranstalter von Attac, dem DGB, der evangelischen Akademie und der KAB Ost/Liebfrauen sowie VHS Recklinghausen und Westfälischer Hochschule.

Prof. Altvater ging insbesondere auf den untrennbaren Zusammenhang von Schuldnern und Gläubigern ein, auf die ungleiche Vermögensverteilung und die negativen Folgen der Austeritätspolitik insbesondere auf die Demokratie und plädierte für einen Schuldenschnitt für Griechenland; er hielt einen Grexit für verhängnisvoll. Prof. Bontrup sorgte sich um die mangelnden Wirtschaftskenntnisse der maßgebenden Politiker, die selbst das Grundwissen von Erstsemestern über grundlegende Wirtschaftszusammenhänge vermissen lassen. Instituts-Sprecher Pan Pawlakudis verortet die eigentliche gesellschaftlich und wirtschaftspolitische Herausforderung weder besonders noch ausschließlich in Griechenland, sondern in den Kernländern des Euroraums!

Und hier der komplette Vortrag (und die einleitenden Grußworte) in vollem Wortlaut:

Vorwort
Pan Pawlakudis, Institut iWiPo

Griechenland ist ein katastrophales Land, das überhaupt nicht wachsen kann, völlig korrupt, mit einer irrsinnigen Bürokratie, faul und lebt auf Kosten der fleißigen Länder. Alles läuft schief in diesem Land. Das sagen uns Experten aus Politik, Medien und Wissenschaft.

Experten bestätigen sich gegenseitig, dass, bis auf Griechenland, die Krisenländer die Krise überwunden haben und Wachstum generieren; sie boomen! Kaum ein deutscher Politiker, bis auf die Linke, und hier schäme ich mich als Sozialdemokrat, dass meine Partei nicht ins selbe Horn bläst, der nicht behauptet, dass sich Spanien, Portugal und Irland freigekämpft haben. Portugal steht exemplarisch für die Unrichtigkeit genau dieses Statements.

Griechenland ist das einzige Land, das unfähig ist, sich aus der Krise zu befreien, heißt es. Der noch 2014 herbeigeredete Aufschwung ist so marginal und innerhalb der statistischen Berechnungstoleranz, dass er morgen wieder zu Ende sein kann. Keine Reform, die diese Vokabel verdient, hat gegriffen. Ganz im Gegenteil: die Arbeitslosigkeit bleibt signifikant auf höchstem Niveau, Investitionen werden eingespart, gut ausgebildete junge Menschen emigrieren! Die von der deutschen Regierung abverlangte Austeritätspolitik, gefährdet das, was sie vorgibt zu schützen!

"Seit Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise verfolgt Deutschland ein klares Ziel: Europa soll stärker aus der Krise hervorgehen, als es in sie hineingekommen ist. Auf diesem Wege sind wir weit vorangekommen." Angela Merkel, am 26.06.2015.

Was Frau Merkel sagt stimmt nicht. Sowohl der Euroraum in Gänze, als auch Deutschland insbesondere sind aus nichts herausgekommen. Und das warum, erläutert Prof. Altvater.

Ich heiße Pan Pawlakudis und bin Sprecher des neu gegründeten Institutes iWiPo, das sich der Unabhängigkeit der Schul- und Hochschulbildung und der Wissenschaft sowie der politischen Bildung verpflichtet hat.

Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. H.-J. Bontrup, Westfälische Hochschule

Mein Name ist Heinz Bontrup. Ich bin am Fachbereich Wirtschaftsrecht der Westfälischen Hochschule Hochschullehrer für Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt Arbeitsökonomie.

Ganz besonders freue ich mich und das kommt aus dem Herzen, hier heute Abend Elmar Altvater begrüßen zu dürfen. Ich kenne ihn seit sehr langer Zeit. Ich kann mich erinnern als Student in Bremen, da hast du, lieber Elmar, erste Diskussionen mit Rudolf Hickel in der Bremer Uni geführt.

Elmar Altvater ist eine der bedeutendsten und renommiertesten Politökonomen Nachkriegsdeutschlands und das zeigt schon alleine seine lange Veröffentlichungsliste und auch international ist er bekannt. Er ist übrigens, das darf ich hier sagen, auch Unterstützer der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ deren Sprecher ich heute bin und heute Abend noch nach Bielefeld muss. Dort werden wir das Memorandum 2016 vorbereiten und vorstrukturieren.

Wir haben heute Abend ein Thema, und da freue ich mich besonders, dass so viele gekommen sind, das ist keine Selbstverständlichkeit um diese Zeit, ich hatte allerdings mit ein paar mehr Studierenden gerechnet, aber viel mehr hätten auch gar nicht hier in meinem Lieblingshörsaal, meinem Wohnzimmer so zu sagen, hineingepasst. Ja, Griechenland ist in der Tat zu einer Elendsökonomie geworden, zu einer Elendsökonomie gemacht worden. Man muss sagen, Griechenland hat hausgemachte Fehler gemacht, das ist sicherlich richtig so. Man kann heute keine moderne Volkswirtschaft lenken, wenn man nicht eine funktionierende Steuerverwaltung hat, wenn das Staatswesen und das Parteiwesen, das ist schon gesagt worden, weitgehend korrupt ist. Wir werden heute Abend intensiv darüber diskutieren können und ich freue mich auf den Vortrag von Elmar.

Elmar du hast das Wort.

Vortrag
Prof. em. Dr. Elmar Altvater

Ganz herzlichen Dank für diese mehr als freundlichen Worte, die mich erröten lassen und ich hoffe, dass dies nicht Einfluss nimmt auf das, was ich zu sagen habe, denn wir müssen bei dem, was wir analysieren und auch bei den Vorstellungen die vielleicht als Änderungen der gegebenen Situation einbringen wollen, nüchtern bleiben und nicht in rosaroten Farben oder sonst wie versuchen die Dinge schön zu reden oder schön zu sehen.

Ich werde aber nicht nur über Griechenland in diesem Zusammenhang sprechen und ich finde es sehr richtig was du Heinz gesagt hast, dass Griechenland auch Fehler gemacht hat. Griechenland ist genauso eine Klassengesellschaft, wie die Bundesrepublik. Wir würden nicht sagen, dass in der Bundesrepublik keine Fehler gemacht werden. Wir sind damit beschäftigt den VW Skandal aufzuarbeiten, ein Riesenfehler, der sich nicht nur immer mehr als kriminell herausstellt, sondern der auch den Wirtschaftsstandort Deutschland beschädigt und wahrscheinlich mehr als beschädigt und auch das wissen wir inzwischen, auch das ist zum Thema geworden, wenn selbst die Unternehmer, die freundlich über VW reden müssten, sprechen nicht mehr so ganz freundlich darüber.

Fehler werden überall gemacht und wir sollten uns an die eigene Nase fassen und nicht hochmütig über die Fehler der Anderen nerven, wenn wir über die eigenen zu sprechen, nicht auch bereit sind.

Griechenland hat selbstverständlich viele Fehler gemacht. Es stimmt, was du gesagt hast (H. Bontrup), das die politische Klasse in Griechenland zum Teil, denn man kann das natürlich nicht verallgemeinern, korrupt ist, dass sie unfähig ist, wo ein Klientelsystem entstanden ist, das die Rationalität des Wirtschaftens und die Effizienz des Wirtschaftens schwer gestört hat.

Wer weiß das wohl besser als die Griechen selbst wenn wir hören, was aus Syriza-Kreisen bspw. kommt, aus der Regierung, die seit Febr. 2015 an der Macht ist, sagen wir besser an der Regierung ist, denn an der Macht ist sie überhaupt nicht, an der Macht ist die Troika und in der Troika gibt es mächtige und weniger mächtige; die mächtigsten in der Troika sind die Deutschen, so dass man sagen könnte, an der Macht in Griechenland sind inzwischen die Deutschen und das macht natürlich Böses Blut.

Wir müssen aufpassen, dass dieses Böse Blut nicht zu einer Verseuchung, zu einer Verletzung der Gefühle von Menschen, vielleicht von ganzen Nationen innerhalb dieses europäischen Kontinents und innerhalb der Europäischen Union führen wird. Fehler werden gemacht und wir müssen selbstverständlich darüber reden und wenn wir über die Fehler reden, müssen wir über die Umstände reden, unter denen diese Fehler begangen worden sind und dann wird man sehen, dass es diese Umstände zum großen Teil sind, die man berücksichtigen muss, wenn man die Fehler beheben will. Es reicht nicht aus zu sagen „du hast Fehler gemacht, mach das nächste Mal keine Fehler“. Man muss die Verhältnisse ändern, damit die Fehlerbehebung überhaupt eine Möglichkeit wird. Das ist im Falle Griechenlands mit Sicherheit der Fall, das müssen wir begreifen.

Wenn wir versuchen, das zu begreifen, werden wir uns zuallererst von einer Illusion verabschieden müssen: die Illusion, dass Geld eine leichte Angelegenheit ist und die Schulden damit auch eine relativ einfache Angelegenheit sind. Wir müssen begreifen, dass Geld eine soziale Beziehung ist, eine soziale Beziehung, die eine außerordentliche Bedeutung hat, denn „Money makes the world go round“ heißt es im Englischen: Geld bringt die Welt zu tanzen!

Es zeigt sich, die Mächtigkeit des Geldes als eine soziale Beziehung in der Welt. Und dass es eine soziale Beziehung ist, wird daran deutlich, dass Geld Doppeltes darstellt: auf der einen Seite haben wir diejenigen, die über das Geldvermögen verfügen und das Geldvermögen ist eine Forderung, sind viele Forderungen, die das Recht vermitteln, von anderen einen Schuldendienst zu erwarten, Zahlungen zu erwarten! Aber die können nur zustande kommen wenn die andere Seite sich bereit erklärt, dass dieses Geld Schulden darstellt! Wenn wir dies soweit durchgearbeitet haben, werden wir sagen müssen „Es gibt kein Geldvermögen ohne Schulden und es gibt keine Schulden ohne Geldvermögen“. Wenn es viele erst einmal erkannt haben, dann wird auch klar, dass wir eine Schuldenkrise, wie etwa die Griechische, gar nicht lösen können, ohne an die Geldvermögen heran zu gehen!

Wenn wir sagen „Ihr müsst eure Schulden reduzieren“, dann müssen wir gleichzeitig auch sagen „dann müssen andere ihre Geldvermögen reduzieren“ sonst geht das gar nicht, rein logisch geht das gar nicht! Und ökonomisch geht es erst recht nicht und politisch auch nicht.

Aber in den öffentlichen Diskursen hierzulande heißt es immer, die Griechen haben zu viele Schulden gemacht, haben schlecht gewirtschaftet, sie müssen ihre Schulden erst einmal abbauen und müssen sparen. Dabei wird aber vergessen, dass wenn die Griechen ihre Schulden abbauen irgendwo auch die Vermögen verschwinden, bei denjenigen, die als Geldvermögensbesitzer von diesen Schuldendienst ganz gut gelebt haben und zu diesen gehören nun mal auf dem europäischen Kontinent die Deutschen.

Wir müssen, wenn wir über die griechische Krise reden, auch immer über Deutschland reden damit wir zu einer Lösung kommen können. Ohne diese Zusammenhänge zu berücksichtigen, funktioniert das nicht. Und das sieht man schon, wenn man in die Geschichte schaut.

In der Geschichte der Zivilisation, und wir können sehr lange zurückblicken, finden wir immer das Problem, dass Schulden gemacht worden sind, Schulden aufgebaut worden sind und der Schuldendienst irgendwann untragbar geworden ist für die Schuldner und eben ein Schuldenschnitt stattfinden musste, weil es nicht anders ging. Aber ein Schuldenschnitt war immer auch ein Schnitt bei den Vermögenden, die sich zur Wehr setzten. Schuldenstreichen wollen alle, Vermögenstreichen möchte natürlich niemand. Aber es geht nun mal nicht anders. Es muss zu einem Ausgleich kommen und nur wenn man diesen Ausgleich sucht und wenn man diesen Ausgleich findet gibt es eine sozial und politisch friedliche Entwicklung einer Gesellschaft.

Die besten Denker der Menschheit wussten das genau und sie haben sich damit beschäftigt. Zum Beispiel Aristoteles. Aristoteles hat sich auf Solon von Athen berufen (Anm.: Staatslenker, Philosoph und Lyriker, formulierte die Attische Verfassung). Solon hat eine Entschuldung vorgenommen im Jahre 594 v. Chr., vor etwa 2.600 Jahren. Die Probleme waren gar nicht so unterschiedlich von denen, mit denen wir heute konfrontiert sind. Auch damals waren griechische Bürgerinnen und Bürger hoch verschuldet und konnten ihre Schulden nicht mehr richtig bedienen. Damals war man brutaler, als es heutzutage der Fall ist und wurden zum Teil in die Schuldknechtschaft gesteckt oder wurden versklavt und verloren ihre Freiheit als Bürgerinnen und Bürger, konnten nicht mehr am Gemeindeleben teilnehmen. Das war eine Katastrophe, die fast zum Bürgerkrieg geführt hätte.

Aristoteles verwies im 3 Jh. v. Chr. in seiner „Geschichte von Athen“ auf diesen Sachverhalt vom Jahre 594 v. Chr. und sagte „Solon von Athen hat zwei große Leistungen vollbracht: Er gab Athen eine Verfassung und damit hat er es möglich gemacht, dass in dieser Republik die Menschen in Frieden zusammenleben können. Diese Großtat hätte Solon überhaupt nicht erfolgreich zu Ende führen können, wenn er nicht noch eine zweite Großtat unternommen hätte und das war die Lastenabschüttelung.“

Und weiterhin sagte er (Aristoteles) „Nur dann, wenn man die Lasten von den Schuldnern nimmt und für einen Ausgleich zwischen Schuldnern und Vermögensbesitzern sorgt, ist der Frieden sozial, politisch und ökonomisch möglich und von der Verfassung bewahrt werden kann. Eine Verfassung allein reicht nicht aus. Die Verfassungswirklichkeit muss so gestaltet sein, dass der Frieden, den die Verfassung vorsieht, auch gelebt werden kann. Er kann nicht gelebt werden, wenn die einen immer vom Schuldendienst der anderen leben.“

Wenn Ungleichheit in der Gesellschaft strukturell da ist, gibt es nur Unfrieden in der Gesellschaft und keine friedliche Entwicklung. Das ist Aristoteles, der sehr geschätzt wird, sicherlich auch von Frau Merkel sehr geschätzt wird, denn Aristoteles ist einer derjenigen, die immer genannt werden, wenn man von der europäischen Wertegemeinschaft spricht. Aber dann sollte man aber auch berücksichtigen, was Aristoteles zur Frage der Schulden gesagt hat, denn das gehört auch zur Wertegemeinschaft Europas, dass man Lösungen für die Verschuldung und Lösungen für die übermäßigen Geldvermögen findet.

Damit sind wir bei einem anderen Thema, das im Grunde kein anderes Thema ist, beim Vermögen in der Welt. Wer auch nur oberflächlich die Zeitungen verfolgt, wird immer wieder Meldungen finden, die davon sprechen, wie groß die Vermögen in der Welt sind und das die Ungleichheit enorm zugenommen hat, in jedem einzelnen Land und global.

Letztes Jahr ist ein Buch von Thomas Piketty erschienen, das gegenwärtig nicht mehr in der Diskussion ist, „Das Kapital im 21. Jh.“, in dem er statistisch nachgewiesen hat, wie ungleich die Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Welt eigentlich ist und dass diese Ungleichheit größer geworden ist. Er hatte eine ganz simple Formel, die man gar nicht an die Tafel zu schreiben braucht, entwickelt, die das deutlich macht: wenn der Zins größer ist als die Wachstumsrate der Wirtschaft in realen Größen, dann bedeutet dies, dass die Überschüsse, die notwendig sind um die Zinsforderungen von Geldvermögensbesitzern real zu bedienen, nicht mehr ausreichen diese Forderungen zu befriedigen. Und wenn dennoch die Forderungen bedient werden sollen, muss aus der Substanz zu Gunsten der Geldvermögen umverteilt werden. Verteilung von der realen Wirtschaft zum großen Finanzvermögen.

(Anm.: der Realwirtschaft, die ein weltweites BIP von 65 Bio. US-$/p.a. aufweist, stehen (nach konservativer Schätzung) Geldvermögen, insbesondere in Form von Derivaten, in Höhe von 270 Bio. US-$. Andere sprechen dagegen vom zehnfachen des Real-BIP. Zu keinem Zeitpunkt ist die Realwirtschaft befähigt, auch nur einen moderaten Zins von 2-3% p.a. zu bedienen.)

Das war ein Skandal vor einem Jahr und wurde breit diskutiert. Heute ist es nicht mehr so in der Diskussion. Der Skandal aber ist immer noch da und er ist größer geworden. Gerade vor einer Woche konnte man eine Meldung vom IWF finden, die davon sprach, dass seit dem die Gewerkschaften geschwächt sind, sich die Einkommensverteilung zu Ungunsten der Löhne und Gehälter entwickelt hat, dass diese Entwicklung so skandalös ist, dass es selbst dem IWF auffällt.

Piketty ergänzte: die Ungleichheit der Verteilung, die sich aus der Schwächung der Gewerkschaften ergeben hat, ist für die ökonomische Entwicklung und den politischen wie sozialen Frieden außerordentlich gefährlich.

Die Ungleichheit, von Vermögen auf der einen und Schulden auf der anderen Seite, ist ein gewaltiges Thema, das weltweit eine Rolle spielt, bei jedem Einzelnen eine Rolle spielt und in allen Ländern, und das ist der eigentliche Skandal, die gleiche Dimension, die gleiche Gestalt annimmt: eine enorme Steigerungsrate des Vermögenswachstums einerseits und die enorme Steigerungsrate des Wachstums der Schulden anderseits. Diese Seiten sind die Kehrseiten derselben Medaille. Das müssen wir sehen, wenn wir über die griechischen Schulden reden, denn sie sind Teil des Vermögens anderer Länder, anderer Schichten.

Wenn wir das betrachten, begreifen wir, dass diese Ungleichheit, der Vermögensbesitzer einerseits und der Schuldenbesitzer andererseits, ganz verschiedene Dimensionen haben. Wir haben in der Welt auf der einen Seite, geographisch betrachtet, den globalen Süden und den globalen Norden. Im globalen Norden sind die Geldvermögensbesitzer und im globalen Süden sitzen die Schuldner. Die Transfers laufen in Süd-Nord-Richtung, von den Ärmeren – im großen Ganzen jedenfalls betrachtet – zu den Reicheren.

Das haben wir auch in der Ökonomie noch einmal verstärkt. Wir haben die reale Ökonomie, in der die Überschüsse produziert und abgezweigt werden, um damit die Forderungen der monetären Wirtschaft des Finanzsektors befriedigen zu können. Wir sehen das auch im Verhältnis Privat und Öffentlich: wir haben Forderungen, und in aller Regel sind Forderungen privat und wenn sie es noch nicht sind, werden sie privatisiert, aber die Schulden befinden sich in aller Regel sofern sie privat sind auf den Sprung in den öffentlichen Sektor und werden sozialisiert. Das ist im Übrigen im Falle Griechenlands im großen Maßstab geschehen. Die Schulden, die Griechenland als Land, als Nation, als Staat gegenwärtig hat, waren einstmals private Schulden, die nationalisiert wurden um den Schuldendienst an diejenigen zu gewährleisten, die über private Geldvermögen verfügten und verfügen, die Forderungen legitimieren, die erfüllt werden müssen. Wenn private Schuldner diese Forderungen nicht mehr erfüllen können, weil sie überlastet sind, werden diese Schulden vom Staat übernommen und dann muss der Staat diese Schulden bedienen. Und woraus bedient er diese Schulden? Natürlich aus den öffentlichen Kassen und die müssen gefüllt werden! Also müssen die Steuern erhöht werden und andere nötige Ausgaben müssen gestrichen werden. Das ist eine Umverteilung zu Gunsten der Vermögensbesitzer.

Das ist nichts Neues und nicht etwas, was nur Griechenland betrifft. Das betrifft sehr viele Länder in der Welt und ist eine Erfahrung aus der Geschichte, dass so etwas passiert. Wir brauchen uns nur die Verschuldung in der Welt, in den vergangenen Jahrzehnten allein, anzusehen, wie sie sich entwickelt hat: wir finden, dass Schulden immer wieder dann entstehen, wen auf der anderen Seite Vermögen entstehen! Das beginnt in der neueren Geschichte mit der Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1970. Jahren.

Diese Liberalisierung war die Konsequenz von zwei großen Privatisierungsoffensiven: die erste war die Privatisierung der Bildung eines zentralen Preises für die Weltwirtschaft, der Wechselkurse, nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods Abkommens fixierter Wechselkurse, die keine großen Schwankungen bilden konnten, 1973.

Die Wechselkurse wurden privatisiert und das bedeutet, das für die Bildung von Wechselkursen auf einmal private Akteure verantwortlich wurden. Wer sind diese privaten Akteure auf internationalen Währungs- und Finanzmärkten? Natürlich die großen Banken, die großen Fonds, die großen Spekulationsfiguren, wie Soros oder andere, es sind viele Namen zu nennen. Die sind auf einmal diejenigen, die die Wechselkurse - ein zentraler Preis für die Weltwirtschaft – festlegen und nicht mehr eine Zentralbank oder die Regierungen von Ländern, die eine gewisse politische Legitimation besitzen, um einen solchen zentralen Preis zu fixieren. Aber die großen Spekulanten und die großen Finanzinstitutionen besitzen diese Legitimation nicht und dennoch sind sie in der Lage diesen Preis zu bestimmen und privatisieren dadurch die Preisbildung.

Das Gleiche passiert mit einiger Verzögerung, einige wenige Jahre nach 1973, Anfang der 1980. Jahre mit einem anderen zentralen Preis in der Weltwirtschaft: dem Zins. Auch er wird privatisiert und zwar wird er nicht mehr über die Zentralbanken bestimmt, sondern von den großen Privatbankenakteuren werden ab da Zinsen bestimmt.

Natürlich haben sie ein allergrößtes Interesse, wenn Zinsen und Wechselkurse nicht eindeutig fixiert sind, denn wen sie es wären, könnte man keine Spekulationsgeschäfte mehr machen. Ich kann nicht auf die Änderung des Preises spekulieren, wenn er politisch festgelegt wurde. Aber wenn diese Preise durch die Aktivitäten der Banken, Fonds und sonstiger Privatakteure selbst definiert werden, kann ich wunderbare Geschäfte machen und damit die Volatilität, wie es genannt wird, die Schwankungsbreite, die Schwankungshäufigkeit dieser Preise, immer weiter vergrößern. Die Instabilität in der Weltwirtschaft nimmt auf diesem Wege, auf diese Weise zu und zwar unvermeidlich und löst krisenhafte Prozesse aus. Das versursacht bei den Menschen sehr große Schwierigkeiten!

Diese Privatisierung ist eine Voraussetzung dafür, dass nur noch private Akteure entstehen, die spekulieren, die, auf diesem Wege, große Instabilitäten erzeugen und das hat zur Folge, dass sie entsprechend auch die reale Wirtschaft beeinflussen, die die Überschüsse produzieren muss und den Finanzmärkten, in dieser privat eingeheizten Spekulation, abliefert damit das ganze System funktioniert.

Das alles wurde in den 1970. Jahren losgetreten und nun stellt sich heraus, was wir schon gehört haben, dass wir niemals beim Geld nur die eine Seite betrachten dürfen, sondern beide Seite. Da gibt es auf der einen Seite die Geldvermögensbesitzer, die unbedingt Schuldner benötigen. Und so ist es auch bei der Spekulation auf den liberalisierten und privatisierten Finanzmärkten seit den 1970. Jahren. Es werden große Geldvermögen aufgebaut auch indem andere Quellen, wie bspw. über die Ölpreisschraube, Ölpreissteigerungen nutzen um riesige Geldvermögen aufzubauen, hier sind die Ölscheichs genannt, mit dem sie dann auf den Märkten spekulieren.

Durch diese Unzulänglichkeiten und Instabilitäten der Finanzmärkte, die zu Spekulation führen, entstehen große Vermögen, die angelegt werden wollen. Und weil Geld eine soziale Beziehung ist, brauchen wir unbedingt Schuldner und wenn keine Schuldner da sind, müssen sie erzeugt werden! Und wo kriegen wir die Schuldner her, damit für die Geldvermögen Anlagemöglichkeiten entstehen? Ja, in den 1970. Jahren sind es die Länder der 3. Welt, die sich verschulden und zwar deswegen verschulden, weil sie von den internationalen Institutionen und auch von den großen Nationalstaaten, nicht mehr genügend Geld zur Finanzierung ihrer Entwicklung bekommen. Also wenden sie sich an private Institutionen, die über sehr viel Geldvermögen verfügen und beschaffen sich dort die Kredite.

Die Entwicklungsländer verschulden sich, die sogenannte 3. Welt verschuldet sich. Sie verschuldet sich in einem Ausmaß, dass der Schuldendienst irgendwann nicht mehr bezahlt werden kann. Das wurde 1982 ganz deutlich, dass es so ist. Im Aug. 1982 musste Mexiko, als erstes Land der sogenannten 3. Welt, seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Wenige Monate später, es war der Nov. 1982, kommt Brasilien hinzu. Es folgte eine Lawine von Ländern aus Süd-Amerika, aus Afrika aber auch aus Süd-Ost Asien, die ihre Schulden nicht mehr bedienen konnten, die sie bei Personen mit sehr viel Geldvermögen aufgenommen haben.

Auf einmal stellt sich heraus, dass die Geldvermögensbesitzer in die Bredouille kamen. Wenn die Schulden nicht mehr bedient werden, sind auf einmal die Vermögen nichts mehr wert und müssen abgeschrieben werden.

Natürlich wollen das Geldvermögensbesitzer nicht, also tun sie alles um diese Abschreibung zu verhindern. Aber wie kann man das verhindern? Man kann es dadurch verhindern, wenn man zumindest die Illusion der Schuldendienstfähigkeit der Länder der 3. Welt aufrechterhält. Und wie macht man dies? Das können Banken und Fonds, Geldvermögensbesitzer und andere Akteure gar nicht machen! Dazu brauchen sie politische Institutionen und diese politischen Institutionen finden sie mit Unterstützung der großen Industrieländer, an erster Stelle natürlich die USA, aber auch Großbritannien, weil ihre Finanzplätze, Wallstreet in NY und Lombardstreet in London, geschützt werden müssen. Es werden Regelungen getroffen, die dazu führen, dass der Schuldendienst weiter geleistet werden kann und damit die Geldvermögensbesitzer ihre Vermögen erhalten. Es soll ein Status-Quo aufrechterhalten werden und tut alles, damit zumindest der Illusion nach funktioniert.

Und es hat funktioniert, gut funktioniert muss man im Nachhinein sagen! Und warum hat es funktioniert? Weil man eine Regel entwickelt hat, die zwei Seiten besitzt.

Die 1. Seite dieser Regel sagt: die Geldvermögensbesitzer müssen auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, sie müssen Verzicht leisten, es geht nicht anders. Die Schulden sind unbezahlbar also müssen Vermögen abgeschrieben werden und dies muss in Grenzen so geschehen, dass die Geldvermögensbesitzer, zumindest die wichtigen unter ihnen, nicht Pleite gehen. Das hat man gemacht; der IWF und die Weltbank haben alles getan damit das alles funktioniert.

Aber auch die 2. Bedingung hat eine große Rolle gespielt: die Schuldner müssen befähigt werden, wieder ihre Schuldendienste an die Geldvermögensbesitzer zu leisten. Dazu müssen die Staaten ihr Staatshaushaltsbudget so umstrukturieren, damit viel Geld in den Schuldendienst fließen kann. Aber das gelingt nur, wenn man in anderen Zusammenhängen das Budget kürzt: bei den Löhnen, bei den Sozialleistungen, bei den Investitionen und dergleichen mehr. Außerdem muss man dafür sorgen, dass die Leistungsbilanz positiv wird, d.h. man muss mehr exportieren als importieren und das geht nur, wenn die Währung abgewertet wird. Damit aber die Währungsabwertung nicht in eine Inflationsspirale führt, muss man dafür sorgen, dass die Preise nicht steigen, und damit die Preise nicht steigen, muss man die Kosten in den Griff bekommen. Die wichtigsten Kosten sind die Arbeitskosten. Also muss man die Arbeitskosten in Grenzen halten damit nicht die inflationäre Wirkung zustande kommt.

So hat man gehandelt und das war erfolgreich in den 1980. Jahren und diese Krise (Anm.: Staatsschuldenkrise) wurde auf diese Weise überwunden. Dieses Modell war so erfolgreich, dass es einen Namen bekommen hat: Konsens von Washington. Dieser „Konsens von Washington“ wurde von der US-Amerikanischen Regierung, vom IWF und der Weltbank sowie von den großen Consultingfirmen ausgearbeitet. Alle mit Sitz in Washington. Deswegen „Konsens von Washington“, denn alle haben in die gleiche Richtung gewirkt um diese Schuldenkrise zu überwinden.

Dieses Modell war ein reines Austerity Programm, mit der Zugabe, dass die Gläubiger gewisse Abstriche hinnehmen mussten. Und seitdem ist der Begriff auch hier in den Sprachgebrauch eingegangen und jetzt wieder hervorgeholt wird um die Situation in Griechenland zu beschreiben, denn in Griechenland wird eigentlich das gegenüber der Syriza Regierung angewendet, was in den 1980. Jahren gegenüber der 3. Welt angewendet wurde.

Damals war es relativ erfolgreich, denn die Schuldenkrise wurde überwunden. Aber die 1980. Jahre, so schrieb die CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe: Wirtschaftskommission für Lateinamerika), war ein verlorenes Jahrzehnt. Denn in diesem Jahrzehnt hat es keine Entwicklung gegeben. Es war das verlorene Jahrzehnt eines ganzen Kontinents. Das war der Effekt von Austerity und vom Konsens von Washington. Die Lösung einer Schuldenkrise auf Kosten der Entwicklung. Man kann nur hoffen, dass es nicht genauso kommt in Griechenland. Aber die Hoffnung trügt wahrscheinlich, denn es werden die gleichen Rezepturen angewendet und sie haben in der Vergangenheit sehr viel Unheil angerichtet.

Jedenfalls hat man die Schuldenkrise bewältigt und hat gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Geldvermögen nicht alle abgeschrieben werden mussten, aber ein paar Abstriche mussten die Geldvermögensbesitzer machen, dennoch hatten sie noch genug Geld zur Verfügung. Nur, wenn man Geld hat, ist es nichts wert, wenn man nicht Schuldner findet, bei denen man dieses Geld anlegen kann. Also muss man Schuldner suchen.

Das hat man dann in den 1990. Jahren gemacht und die Schuldner auch gefunden: die Emerging Economies, die Schwellenländer, das waren die Asiatischen Tigerländer und das Verschuldungskarussell drehte sich weiter. Inzwischen haben die Finanzmarktakteure gelernt und haben aus 1980. Krise mit Innovation ihre Konsequenzen gezogen und haben verbriefte Forderungen, vor allem gegenüber neuen Schuldnern entwickelt.

Verbriefte Forderungen: das bedeutet, man kann mit den Schulden handeln. Besser gesagt mit dem Vermögen das wegen der Schulden verbrieft worden sind. Das waren auf einmal Wertpapiere und mit ihnen kann man auf den Finanzmärkten handeln. Das wurde in den 1990. Jahren im großen Stil durchgeführt.

Zuerst nahmen Länder, wie Mexico, große Beträge von verbrieften Schulden auf, die dann auf den Märkten gehandelt wurden. D.h. nicht die Bank, von wo ich den Kredit her hatte blieb Vermögensbesitzer, sondern andere, an die die Forderungen verkauft worden sind, so, dass auf einmal Sparkassen, vielleicht sogar in Haltern oder Recklinghausen, in Besitz von Mexikanischen Papieren waren, ohne, dass sie genau wissen, dass es der Fall ist. Aber genau das ist in den 1990. Jahren passiert und irgendwann waren die Länder nicht mehr in der Lage diese verbrieften Forderungen zu bedienen. Mexico musste 1994 die Staatspleite anmelden, 12 Jahre nach der 1. Pleite, dann kamen die Asiatischen Länder hinzu, eines nach dem anderen.

Eine Welle der Verarmung schwappte über all diese Länder. 1999 hat es wiederum Brasilien getroffen aber vorher schon, 1998, Russland, das inzwischen auch auf den Finanzmärkten aktiv war, die Türkei und viele andere Länder, die auf einmal in die Bredouille kamen, weil sie nicht mehr in der Lage waren, die Papiere, die sie ausgegeben haben und an Banken an der Walstreet verkauften, die wiederum diese Papiere an andere Geldvermögensbesitzer weiterverkauften. So kam, Ende der 1990. Jahre, eine Finanzkrise zustande, die fast zu einem Bankrott geführt hätte, wenn nicht wieder neue Schuldner gefunden worden wären. Neue Schuldner in der sogenannten „New economy“, in den neuen start ups, die Finanzbedarf hatten. Das Geld stand zur Verfügung. Die Geldbesitzer hatten zwar vorher Verluste gemacht, aber sie hatten in den 1990. Jahren so viele Profite gemacht, sie hatten so viel Geld zur Verfügung, dass sie in die „New economy“ investieren konnten.

Die versprach sehr viel: Produktivitätswunder, hohe Profite, hohes Wachstum etc. Also wurde da investiert, bis sich herausstellte, dass alles eine Blase war und viel Kapital abgeschrieben werden musste! Man spricht davon, dass 2.000 Mrd. US$ in der Blase der „New economy“ verloren gegangen sind.

Das Spiel ging weiter, denn Geldvermögen war immer noch genügend da. Sie waren zwar um 2 Bio. US$ reduziert, aber sie waren trotzdem immer noch gewaltig. Also braucht man wieder eine neue Welle von Schuldnern und die fand man auch und zwar in Folge des 11. Sept. 2001, des Attentats auf das World Trade Center. Und um die Konsequenzen nicht zur ökonomischen Katastrophe werden zu lassen, hat die FED (Federal Reserve System) sehr schnell, sehr viel Geld, zu sehr niedrigen Zinsen zur Verfügung gestellt um die Wirtschaft anzukurbeln und dieses Geld wurde dann von den Banken und anderen Geldvermögensbesitzern dafür genutzt um wieder neue Schuldner aufzutun. Und weil dieses Geld so billig war, hat man es erst einmal auch an Leute verliehen, die gar keine Sicherheiten zu bieten hatten. Es waren Immobilienbesitzer, die nicht über Einkommen verfügten und bekamen trotzdem hohe Kredite.

Diese Kredite wurden dann gebündelt und zu neuen Papieren verarbeitet, wo keiner wusste, was da alles an faulen Krediten eingewickelt worden sind und wurden weltweit gehandelt. Es gab immer noch eine Menge Geldvermögensbesitzer, die aufgrund der hohen Zinsversprechen, diese Papiere gekauft haben, in ihr Portfolio aufgenommen haben, und glaubten, das sei eine gute Sache. Insbesondere waren dies auch Banken jenseits des Atlantik, Fonds und Vermögensbesitzer in Europa, in Deutschland, wie die Hessische Landesbank, die HSB, WestLB. Alle haben das gemacht, in Belgien und natürlich auch in Griechenland.

Das war ein Geschäft, an dem sich alle beteiligen wollten, denn nichts ist auf den Finanzmärkten so sicher, wie das Mitrennen in einer Herde. Das, was alle machen, musst du auch tun, denn wenn du es nicht tust verlierst du die möglichen Gewinne, die die anderen einsacken. Also musst du da mitmachen, auch wenn du ahnst, oder gar weißt ins längerfristige Verderben rennst. Die Logik des Handelns auf den Finanzmärkten ist so, dass so eine Katastrophe dabei einfach herauskommen muss!

Und das ist auch dabei herausgekommen, denn diese Blase, die sogenannte „Subprime“ Blase platzte spätestens 2007/2008 und es ist eine Blase, eine Krise in der wir immer noch stecken, aus der überhaupt kein Herauskommen ist. Und in diesem Kontext spielt eben auch Griechenland eine Rolle. Denn nun stellt sich heraus, dass diese Blase dazu geführt hat, dass sehr viele Banken und andere Akteure auf den Finanzmärkten, sehr viele faule Kredite in ihren Portfolios besaßen, die sie nicht richtig bedienen konnten, die ihnen aber auch keine Sicherheiten boten, weil sie sie nicht mehr loswerden, nicht verkaufen konnten, denn mittlerweile wussten die Finanzakteure, dass diese Papiere faul waren.

Sie hätten ihre Bilanzen bereinigen müssen, aber wenn sie das tun würden, würden sie so viele Vermögenswerte abschreiben müssen, dass sie evtl. Pleite anmelden müssten, wenn Ehrlichkeit auf den Finanzmärkten eine Rolle spielen würde. Und dann kam die These „nein, die sind too big to fail“, sie sind zu groß, als dass man sie hätte Pleite gehen lassen dürfen. Denn so würde nicht nur eine große Bank verschwinden, sondern sie würde die Stabilität des gesamten Finanzsystems, der gesamten Wirtschaft vernichten. Deshalb werden sie „gerettet“!

Aber, wer soll sie retten? Die Privaten werden kein gutes Geld, dem schlechten hinterherwerfen. Das ist bekannt. Also bleibt nur der Staat, die öffentliche Hand um diese Banken zu retten. Also müssen sich die Staaten verschulden, um die privaten Schulden nicht zu einer Katastrophe für die Banken werden zu lassen. Die Schulden müssen verstaatlicht werden. In Deutschland sind sie verstaatlicht worden, in Großbritannien, in den USA sind sie verstaatlicht worden und dort ist zeitweise sogar General Motors verstaatlicht worden. Es findet eine Verstaatlichungswelle statt, im Grunde gegen die neoliberale Ideologie, die genau das Gegenteil sagt, dass alles privatisiert werden soll.

Wenn aber das Geld der Vermögenden und das System als solches gefährdet sind, wird auch ein Neoliberaler seiner Ideologie nicht hinterher trauern, sondern wird das Gegenteil dessen tun, was die Ideologie verlangt, er wird faule Papiere verstaatlichen und auf einmal sind die Staaten, die die glücklichen Eigentümer einer Vielzahl von faulen Papieren und müssen dafür Sorge tragen, dass sie Wert behalten und das geht nur, wenn die Geldflüsse, die Renditeflüsse aufrecht erhalten werden und zwar nicht nur als Illusion, sondern in Realität.

Und diese Realität verlangt dann, dass diese Flüsse organisiert werden und da kann man auf die Erfahrung der 1980. Jahre zurückgreifen, „Konsens von Washington“. Wenn man schon alles bedienen muss, dann eben Austerity, eine Wechselkursveränderung durch Abwertung um Überschüsse zu erzielen, aber verbunden mit Lohnkürzungen, mit Kürzungen im Investitionshaushalt, in der Bildung, im Gesundheitssystem und dergleichen mehr.

Das machen alle Länder gleichzeitig und verschärfen damit aber auch die Situation, denn damit fällt Nachfrage aus und wenn Nachfrage ausfällt, und zwar im großen Stil, dann fehlt natürlich der Impuls um wieder Wachstum zu generieren und auf diesem Wege vielleicht wieder aus der Krise herauszufinden, obwohl man das mit Wachstum auch nicht wird erreichen können, denn Wachstum können wir uns, aus ökologischen Gründen, gar nicht mehr erlauben. Sonst kommen wir aus der Finanzkrise auf einmal in eine Klimakrise hinein und sie ist vielleicht noch ungemütlicher als die Finanzkrise.

Mit anderen Worten, wir kommen in ein riesiges Dilemma hinein und dieses riesige Dilemma ist genau das, was uns hier beschäftigt, das ist genau das, was Griechenland betrifft und letztendlich auch in Deutschland eine Rolle spielt. Insofern sitzen wir alle im gleichen Boot.

Man muss allerdings noch eines hinzufügen, dass die Krise in Europa, die durch diese Mechanik des Schuldenzyklus und der Sequenzen von Schuldenzyklen, ein Erfolg nach dem anderen entstanden ist, dass diese Dynamik der Krise etwas mit der Art und Weise zu tun hat, wie die Europäische Währungsunion konstruiert ist. Sie ist in einer Weise konstruiert worden, dass eigentlich nicht funktionieren kann. Das hätte man schon vor 1991, dem Inkrafttreten des Maastrichtvertrages, wissen müssen und man hat auch darüber gesprochen. Z.B. Helmut Schmidt, der immer gesagt hat, wenn wir eine Währungsunion machen, dann geht das nur, wen vorher die realen Verhältnisse einigermaßen angeglichen sind, dann geht es nur, wenn man eine gemeinsame Wirtschaftspolitik bereit sind durchzuführen und dann machen wir eine gemeinsame Währung, sozusagen als Krönung des ganzen Prozesses. Deswegen wurde seine Theorie als „Krönungstheorie“ bezeichnet und heftig verspottet, weil die sogenannten Monetaristen damit argumentierten, dass eine Währungsunion uns dazu zwingen würde, alle anderen Verhältnisse, wie die realen ökonomischen Verhältnisse und die politischen Verhältnisse, anzugleichen.

Diese Monetaristen haben sich letztendlich durchgesetzt aber wie wir sehen, hat es nicht funktioniert, kann nicht funktionieren, insbesondere nicht, wenn die Unterschiede so groß sind, wie sie derzeit sind und sie sind so groß, weil wir uns mitten in einer globalen Krise befinden. Wenn man die Statistiken anschaut wird man finden, dass in den Jahren unmittelbar nach Einführung des Euro, das war 1999, die Divergenzen zwischen den einzelnen Beteiligten Volkswirtschaften der Währungsunion in Europa, relativ gering sind. sogar geringer geworden sind, bis zum Jahr 2008, bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Finanzkrise. Da stellt sich auf einmal heraus, dass die Schulden aus dem Sozialprodukt finanziert werden müssen und, dass die Geldvermögen, monetäre Forderungen darstellen und generieren und befriedigt werden müssen und die realen Überschüsse von den Schuldnern produziert werden müssen.

Dann stellte sich heraus, dass einige Länder eben über so hohe Schulden verfügen und andere über weniger hohe Schulden verfügen und einige sogar über gewisse Geldvermögen verfügen. Man stellte fest, dass die realen Flüsse von Werten ungleich sind und einige Länder sehr viel mehr zahlen müssen als andere. Das drückt sich aus in Leistungsbilanzunterschieden. Einige haben hohe Leistungsbilanzdefizite und andere dagegen einen Leistungsbilanzüberschuss, wie Deutschland bspw.

Auf die Dauer werden Leistungsbilanzüberschüsse zu großen Vermögenswerten und bei denjenigen mit Defiziten sammeln sich eben die negativen Werte. Die Ungleichgewichte werden innerhalb der Europäischen Union immer größer. Das lässt sich sogar statistisch eindeutig nachweisen.

Es stellt überdies der Mangel heraus, nicht der „Krönungstheorie“ gefolgt zu haben um damit vernünftig umzugehen. Wir haben keine Ausgleichsmechanismen um auch gegen die politischen Verwerfungen, die dadurch entstehen, dass bspw. die deutschen Gewerkschaften sehr schwach sind, so schwach, dass der IWF dies in seinen Gutachten vermerkt und vor der Folge der Schwäche der Gewerkschaften warnt. Wir haben keine Mechanismen dafür zu sorgen, dass etwa die Gewerkschaften stärker werden, die dafür sorgen, dass die Lohnstückkosten in Deutschland mehr steigen als etwa in einem Land, wie Griechenland.

Das Gegenteil passiert gegenwärtig. Die Ungleichgewichte werden immer größer, auch in Folge einer nicht vereinheitlichten Politik der Gewerkschaften und der Regierungen, denn die Wirtschaftspolitik spielt ja ganz zentral mit hinein, so, dass die Ungleichgewichte immer größer werden, die Spannungen daher auch und damit dann auch die Krisenhaftigkeit der Entwicklung unterstützt wird und immer größer werdende Instabilitäten die Situation kennzeichnen!

Das ist der Zustand, mit dem wir es heutzutage zu tun haben und die Frage lautet natürlich, wie geht man am besten damit um? Es gibt im Prinzip vier Möglichkeiten.

Die 1. ist: wir wurschteln weiter so, wie bisher. Darüber sprechen wir aber nicht, weil es eigentlich keine Lösung ist und lediglich eine Verschiebung und sich später natürlich aufdrängen wird.

Die 2. Lösung ist die, wie es bis jetzt gemacht wurde: Austerity. Wir sorgen dafür, dass die Schuldner weiterhin in der Lage sind, den Schuldendienst zu leisten aber das geht auf Kosten der Bildung, der Investitionen, der Zukunft der Kinder, auf Kosten der Arbeitsplätze. Das ist das, was über Lateinamerika schon gesagt wurde: ein verlorenes Jahrzehnt. Wenn wir bereit sind auch in Europa ein verlorenes Jahrzehnt in Kauf zu nehmen und die Entwicklung abzubrechen und keine Zukunft für die nachfolgenden Generationen zu erzeugen, die Lebenswert ist, dann soll sie mit Austerity weitermachen, aber nur dann wenn wir etwas anderes wollen, müssen wir damit ganz schleunigst aufhören.

Die 3. Möglichkeit wäre Wachstum. Wachstum wäre eine Lösung, sicherlich. Nur, Wachstum hat viele Nebeneffekte, die wir nicht mehr in Kauf nehmen können, nehmen dürfen! Wir haben noch 2 Wochen bis zur Klimakonferenz in Paris und wenn die Tendenzen so weiter gehen mit der CO2-Sättigung der Atmosphäre, dann werden wir diesen Planeten irgendwann mal aufgeben müssen. Aber wir können ihn nicht aufgeben, weil wir keinen anderen haben. Wir müssen daher etwas tun und Wachstum wäre keine gute Nachricht und kein gutes Rezept, dem man folgen könnte. Wir müssen deutlich sehen, dass wir uns nicht nur in einer finanziellen, nicht nur in einer Schuldenkrise befinden, sondern, so wie es in den Sozialwissenschaften genannt wird, in einer multiplen Krise befinden. Und dass wir nicht die eine Krise, nämlich die Finanz- und Schuldenkrise, dadurch lösen können indem wir die anderen Krisen weiter zuspitzen und den Erdball vielleicht unbewohnbar machen.

Wenn das alles nicht funktioniert, wenn das nicht die Lösung sein kann, dann bleibt nur eine 4. und das ist eigentlich die, die Aristoteles auch schon genannt hat: wir brauchen eine Lastenabschüttelung. Wir brauchen eine Art von Entschuldung. Sie kann auf verschiedenste Weise passieren. Z.B. indem die Schulden gestrichen werden. Sie kann geschehen, indem der Schuldendienst begrenzt wird, sie kann geschehen, indem wir die Kreditrückzahlung verlängern, die Fristen strecken. Das alles wären Möglichkeiten. Aber letztendlich läuft alles darauf hinaus, dass wir die Schulden streichen müssen.

Alle Schulden? Wahrscheinlich nicht! Denn wir müssten dann das tun, was das griechische Parlament vor einigen Monaten eingerichtet hat, eine Kommission, die alle Schulden untersucht. Wir sagen, Griechenland hat 300 Mrd. Euro Schulden. Eine Riesensumme. Aber diese 300 Mrd. bestehen aus ich weiß nicht wie vielen Tausenden einzelnen Kreditverträgen. Man müsste sie mal alle einzeln untersuchen ob sie gerechtfertigt sind oder sind sie es nicht.

Griechenland hat Schulden, ja, und für diese Schulden ist die griechische Regierung auch verantwortlich. Das sind legitime Forderungen seitens der Geldvermögensbesitzer. Aber auch das muss untersucht werden, was ist legitim, was ist nicht legitim. Denn es gibt viele Schulden, die Griechenland sind, die überhaupt nicht legitim sind. Die Rüstungsgeschäfte bspw., die Zugunsten deutscher oder transatlantischer Konzerne getätigt wurden, für die Griechenland heute Schuldendienst leisten muss, haben vor allem diesen Konzernen genutzt, Griechenland haben sie überhaupt nichts genützt, im Gegenteil, sie haben sogar geschadet.

Es gibt da sehr viele Beispiele, die schon absurd zu nennen sind. Griechenland hat bspw. Tausende Leopardpanzer gekauft und hat nicht die Munition dafür bekommen, so dass diese Panzer völlig wirkungslos sind, man kann sagen, Gott sei Dank, dass sie wirkungslos sind. Es ist einiges passiert, bei U-Booten und anderen Rüstungsgeschäften, wo man sagen kann, das sind Odious Depts (illegitime Schulden). Davon gibt es sehr viele und das muss im Einzelnen untersucht werden.

Ich breche jetzt nicht den Stab über den einen oder anderen Gläubiger, Konzern oder sonst was, sondern nur sagen „das muss genauestens untersucht werden“. Das war die Forderung, die Aristoteles und Solon damals gestellt hatten und das ist etwas, was in Argentinien, 2001 als sich die Lage im Land zuspitzte, ebenfalls aufkam „wir müssen die Schulden und Kreditverträge untersuchen und einige sind so unanständig, dass man sie eigentlich streichen muss“.

In Argentinien war es so, dass sich Schweizer Konzerne ihre Schokoladenfabriken in Argentinien, feuerversichern ließen und irgendjemand hat diese Fabriken angesteckt! Sie sind den Flammentod gestorben aber die Schweizer Konzerne haben sich von der Feuerversicherung auszahlen lassen. Sie haben reales Kapital in Argentinien vernichtet um monetäres Kapital via Versicherung zu erzeugen und um auf diese Weise liquide zu bleiben. Es gibt eine Menge solcher Beispiele und die müssen untersucht werden.

Griechenland hat also eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die das untersucht und in absehbarer Zeit, es gibt schon Zwischenberichte, Ergebnisse herausgeben und zeigen, was es mit der Entschuldung und den Schulden auf sich hat. Und wer dann entsprechende Konsequenzen zu tragen hat könnten nicht nur die Schuldner sein, es könnten aber auch nicht nur die Gläubiger sein. Man braucht so etwas, wie einen Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern. Und nur wenn wir diesen Ausgleich finden und wenn er politische Unterstützung findet sowohl von den Regierungen als auch in der Zivilgesellschaft, dann kommen wir, glaube ich, aus dieser schweren Krise Griechenlands aber auch aus der Krise Europas, denn es ist nicht die Krise Griechenlands, sondern Europas, heraus.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Es folgte eine angeregte Diskussion, zum Teil scharf formulierte Redebeiträge von Prof. Altvater und Prof. Bontrup und präzise formulierte Redebeiträge und Fragen aus dem Plenum.