Wilhelm Neurohr

„Die abstruse Auffassung von sozialer Gerechtigkeit“

Kommentar zur aktuellen politischen Debatte pro und kontra Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger:

Bei der politischen Debatte Pro und Contra Aufhebung der umstrittenen Hartz-IV-Sanktionen bringen die hartnäckigen Sanktionsbefürworter (auch aus Reihen der Gewerkschaftsführung und Sozialdemokraten) haarsträubende Begründungen vor: Die Steuerzahler als Finanzierer der Sozialleistungen hätten „aus Gerechtigkeitsgründen“ ein Anrecht darauf, dass Arbeitslose sich den erzieherischen Sanktionsregeln gefälligst unterwerfen. (Wohlgemerkt: Wir reden hierbei über Maßregelungen für mündige Menschen im Erwachsenenalter mittels Kürzungen ihres menschenrechtlich zustehenden Existenzminimums bei Regelverletzungen, die wir uns für sie als unerbittlichen Anpassungszwang ausgedacht haben).

Als Steuerzahler finanzieren die Sanktionsbefürworter aber nicht nur die knapp bemessene Sozialhilfe für Bedürftige, sondern auch die üppigen Diäten und Gehälter für Berufspolitiker und die überdurchschnittlichen Pensionszahlungen für Beamte sowie die Gehälter der obersten kirchlichen Würdenträger, (auch als Nicht-Kirchenmitglieder). Und sie finanzieren vor allem die fragwürdigen Subventionen für Unternehmen und deren großzügigen Steuernachlässe sowie die Steuergeschenke für die Superreichen (durch staatlichen Verzicht auf angemessene Vermögens- und Erbschaftssteuer und unzureichende Kontrolle der Steuerflüchtigen).

Welche Forderungen „aus Gerechtigkeitsgründen“ und zur Kontrolle ihrer Steuergelder müssten also die Sanktionsbefürworter deshalb in erster Linie für diese teuren Leistungsempfänger erheben statt für die Sozialhilfeempfänger? Zumindest müssten sie konsequenterweise auch Sanktionen verlangen etwa für Abgeordnete, die ihre Plenarsitzungen häufig schwänzen, lukrativen Nebentätigkeiten nachgehen oder ihrer Berichts- und Transparenzpflicht gegenüber den Wählern nicht nachkommen. (Wehe dagegen dem Sozialhilfe-Empfänger, der heimliche minimale Nebeneinkünfte nicht korrekt angibt zwecks Abzugs). Und von den Beamten müssten sie neben zeitnaher Bearbeitung von Bürgeranträgen angemessene Rentenbeitragszahlungen für deren späteren überdurchschnittlichen Spitzenpensionen einfordern, von denen Arbeitnehmer nur träumen können.

Die in Zukunft steigenden Pensionslasten der Beamten einschließlich Beihilfen kosten den Steuerzahler insgesamt 650 Mrd. € (Quelle: Handelsblatt+Wirtschaftswoche). Und 25 Mrd. € gibt der Bund jährlich für Subventionen aus, das sind 300 €, die jeder Bürger dafür im Jahr zahlt.(Quelle. Bundesrechnungshof und Steuerzahlerbund). Dagegen belaufen sich laut amtlichen Quellen die Kosten für Hartz IV auf jährlich ca. 21 Mrd. € zuzüglich 6,5 Mrd. € Unterkunftskosten, bzw. die Sozialhilfekosten insgesamt auf 25 Mrd. € Bruttokosten im Jahr.

Welche Kosten bereiten den Sanktionsbefürwortern nach ihrem Gerechtigkeitsverständnis die meisten Bauchschmerzen? Ihre Sanktionsforderungen beschränken sich auf Zuwendungskürzung und Bestrafung nur für diejenigen am untersten Existenzminium und Rand der Gesellschaft. Indem staatliche Politik unter dem Beifall der Medien dem stattgibt und damit von den eigentlichen sozialen und steuerlichen Ungerechtigkeiten in diesem einstigen „Sozialstaat“ geschickt ablenkt, haben deren neoliberalen Steigbügelhalter ihr vorläufiges Ziel erreicht. Damit haben sie aber auch Wasser auf die Mühlen der AfD-Wähler gegossen. Ob sie das nicht bemerken oder billigend im Kauf nehmen unter Vergießen von Krokodils-Tränen?

Wilhelm Neurohr