Wilhelm Neurohr

09. Mai 2021:

EU-Europatag - Sozial gerechtes Europa?

Seit 1985 gilt der 9. Mai als Europatag der EU im Gedenken an die Gründung der Montanunion. Am Europatag, der in allen Mitgliedsstaaten begangen wird, sind zahlreiche Veranstaltungen mitsamt Projektschultagen auch in Deutschland geplant, wobei das 60-jährige Bestehen der Europäischen Verträge im Fokus steht. Wähend die gut dotierten EU-Bediensteten den arbeitsfreien Tag feiern, ist die horrende Zahl von 91 Millionen Menschen in Europa von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, umos mehr nach der Corona-Krise. Deshalb fand am Vortag des 9. Mai ein EU-Sozialgipfel in Porto statt, "um Europa gerechter zu machen". Bundeskanzlerin Merkel blieb dem Treffen fern, da sie eine "Sozialunion" ablehnt.

Schon im November 2017 hatten die EU-Staaten mit Zustimmung der Kommission, des Europäischen Rates und des Europaparlamentes im schwedischen Göteborg die so genannte "Säule sozialer Rechte" mit 20 Punkten verabschiedet, wenngleich die EU keine Zuständigkeiten für die den Nationalstaaten obliegenden sozialen Regelungen hat. Insofern blieben die Bestrebungen für mehr soziale Gerechtigkeit, Mindestöhne, gleiche Löhne für Frauen, Arbeitsschutz, Arbeits- und Ausbildungdsplätze, auskömmliche Renten usw. unverbindliche Absichtserklarungen und Lippenbekenntnisse. Jetzt wurde das Versprechen gegeben, die soziale Lage bis 2030 spürbar zu verbessern und die drastichen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern auszugleichen. Dank der Corona-Hilfen gibt es finanzielle Speilräume. Bislang galten Niedriglöhne als Wettbewerbvorteil und die neoliberale Ideologie als menschenverachtende Leitschnur der Europapolitik.

Nunmehr sind die Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an einer am Europatag beginnenden Online-"Konferenz über die Zukunft Europas" aufgerufen. Ein Jahr klang sollen Bürgerforen und "Bürgerdialoge" mit Debatten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene stattfinden. soll den Menschen in der EU die Gelegenheit geben, sich zu ihren Erwartungen an die Politik zu äußern. Konkrete Themen könnten der Klimawandel, Migration und soziale Gerechtigkeit sein. Ziel sei es, Bereiche anzusprechen, in denen die EU handeln könne oder in denen ein Handeln der EU zum Nutzen der europäischen Bürger wäre, heißt es in der vorbereiteten Erklärung zum Start des Bürgerdialogs. Zudem stehe es den Bürgerinnen und Bürgern frei, weitere Themen anzusprechen, die für sie von Belang seien. Organisiert werden soll der Dialog zum Beispiel über eine mehrsprachige digitale Plattform. Sobald es die Corona-Pandemie wieder zulässt, sind dann auch in allen EU-Ländern physische Konferenzen und Debatten vorgesehen.

Der Bürgerdialog hatte eigentlich bereits im vergangenen Mai beginnen sollen. Über die vergangenen Monate gab es allerdings Streit um die politische Führung. Ein Kompromiss sieht nun vor, die Konferenz von einem Dreierteam führen zu lassen. Dieses soll aus EU-Parlamentspräsident David Sassoli, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - die sich nach der Europawahl mit Hilfe von Rechtspopulisten und Nationalisten im EU-parlament (an den Spitzenkandiaten vorbei) auf den Posten der Kommissionspräsidentin "geputscht" hatte - und dem jeweiligen Staats- oder Regierungschef des Landes mit dem rotierenden EU-Ratsvorsitz bestehen. Der Abschluss der Konferenz ist für das Frühjahr 2022 unter französischer EU-Ratspräsidentschaft geplant. Ihre Ergebnisse sollen dann laut dem Text für die Erklärung «Orientierung für die Zukunft Europas» geben.