Wilhelm Neurohr

„Glyphosat-Zulassung würde das Vorsorgeprinzip in Europa aushebeln“

(Zum Zeitungskommentar von Rasmus Buchsteiner vom 07. Juli 2016 in der RZ)

Bis zum endgültigen Nachweis der Schädlichkeit solle gefälligst das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat „aus pragmatischen Gründen“ einstweilen zugelassen werden, so die Argumentation von Rasmus Buchsteiner über den anhaltenden Streit in der EU. Alles andere hält er für eine "peinliche Posse". Mit seiner Forderung quasi nach Umkehrung der Beweislast offenbart der Kommentator seine Unkenntnis über das in Deutschland und Europa seit Jahrzehnten gültige und ausnahmslos angewendete „Vorsorgeprinzip“. Dieses gilt aus guten Gründen bei der Marktzulassung für sämtliche Produkte und Dienstleistungen, die immer erst dann zugelassen werden, wenn ihre nachgewiesene Unbedenklichkeit für die Gesundheit und Sicherheit der Menschen eindeutig erwiesen ist. Damit sind wir über Jahrzehnte gut gefahren.

Es gibt keinen plausiblen Grund, erstmalig davon abzuweichen, nur weil die Glyphosat-Pestizid-Lobby massiven Druck macht. Faktisch fordert Rasmus Buchsteiner somit stattdessen die Anwendung des umgekehrten „Nachsorgeprinzips“ nach dem Vorbild der USA, wo jedes Produkt erst einmal uneingeschränkt auf den Markt darf, solange ein davon Geschädigter dem Hersteller nicht nachweist, dass es an dem Produkt lag. Dies wäre in Europa ein bedenklicher Präzedenzfall und zugleich ein erstes Einfallstor für eine völlig andere Gesundheits- und Marktpolitik im Interesse der Lobbyisten.

Denn genau dies Thema „Vorsorgeprinzip“ oder „Nachsorgeprinzip“ ist auch eines der am heftigsten umstrittenen Kernpunkte der Freihandelsverträge TTIP und CETA. Hier möchte die EU als Verfechterin von TTIP & Co. am Beispiel Glyphosat wohl den USA prinzipiell entgegenkommen, obwohl sie gegenüber der Bevölkerung - die laut Umfragen mehrheitlich die Freihandelsverträge ablehnt – wahrheitswidrig behauptet, sie verteidige das bewährte „Vorsorgeprinzip“ bei den Verhandlungen. Mit der (auch temporären) Zulassung von Glyphosat als Pestizid trotz zweifelhafter Unbedenklichkeit wäre offenkundig, dass unser „Vorsorgeprinzip“ auf der Abschussliste stünde.

Dies bezeichnet der Kommentator Rasmus Buchsteiner als „Weg der Vernunft“, und nicht die konsequentere Haltung der Bundesumweltministerin. Diese nimmt die Warnungen der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation ernst, die wegen festgestellter Tumore bei Tierversuchen für ein Verbot von Glyphosat, das als meistgenutztes Pestizid immer wieder mit Rückständen im Essen auftaucht. Guten Appetit, Herr Buchsteiner!

Wilhelm Neurohr