Wilhelm Neurohr

Erneute Rüge vom Europarat:

Warum verweigert Deutschland wirksame Maßnahmen gegen Korruption?

Mit moralischer Empörung gegen die hohe Korruption in anderen Ländern ist Deutschland vorneweg. Doch die Korruptionsbekämpfung im eigenen Land wird hartnäckig politisch verweigert: Die erneute Rüge des Europarates vor einer Woche, wonach Deutschland nur eine von vierzehn Empfehlungen eines offiziellen Anti-Korruptionsgremiums umgesetzt hat, kam in den Medien gar nicht oder nur als kleine Randnotiz vor. Die mediale Empörung blieb aus. Die fehlende Transparenz der Lobby-Einflüsse in deutschen Gesetzesverfahren wurde vom Europarat ebenso gerügt wie das Fehlen schärferer Regeln beim Seitenwechsel von Politikern in die Wirtschaft. Auf Druck der Zivilgesellschaft im letzten Bundestagswahlkampf ist lediglich ein lückenhaftes Lobbyregister widerstrebend eingeführt worden, das dringend verbesserungsbedürftig ist.

Schon beim „Internationalen Antikorruptionstag“ der UN wurde vor einem Vierteljahr sichtbar: Deutschland ist keineswegs Vorbild bei der Korruptionsbekämpfung, sondern Problemfall. Vor allem die Abgeordnetenbestechung in Deutschland wirksamer unter Strafe zu stellen und das lückenhafte Lobbyregister zu verbessern. wurde wiederholt vom Europarat sogar mit Fristsetzung angemahnt, aber in Deutschland einfach ignoriert. Schon vor drei Jahren hatte der Europarat den Deutschen eine Frist bis 2022 gesetzt, die verbindlichen Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung endlich vorzulegen. Und schon zwischen 2015 bis 2019 hatte er der Bundesrepublik ein mieses Zeugnis ausgestellt, weil Deutschland nur die Hälfte der Anti-Korruptionsempfehlungen für Abgeordnete widerwillig umgesetzt hatte.

Aussitzen der Anti-Korruptionsvorgaben hat in Deutschland Methode

Das Aussitzen der überfälligen Maßnahmen hat in der deutschen Politik Methode. Schon die Unterzeichnung der UN-Konvention gegen Korruption vom 09. Dezember 2003 hat Deutschland ausgesessen und sie erst 11 Jahre später ratifiziert. Die Presse- und Medienlandschaft als die vierte Gewalt im Staate hat es sträflich versäumt, aktuell den Regierenden deshalb laut und vernehmlich „auf die Finger zu klopfen“, weil es viele hochbezahlte Spitzenjournalisten selber in staats- und wirtschaftsnahen Netzwerken an der nötigen Unabhängigkeit fehlen lassen. Rund 90 namhafte "unabhängige" Journalisten sitzen z.B. mit Politikern und Vertretern zahlreicher Wirtschaftsunternehmen und Finanzkonzerne sowie mit Rüstungslobbyisten zusammen in der so genannten "Atlantik-Brücke" als Elite-Netzwerk. (Deshalb müssen die „Bürger-Reporter“ des "Lokalkompass" diesen Part hier übernehmen, wie schon in einem Artikel vor 15 Monaten zu diesem leidigen Thema). Denn Korruption untergräbt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, führt zu Menschenrechtsverletzungen, verzerrt die Märkte und behindert die Nachhaltigkeitsziele, so stellt die UN fest.

Alle Mahnungen und Rügen von UN, EU und Europarat werden stur ausgesessen

Auch die erneute Mahnung des Europarates von 2020, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung nur ungenügend nachkommt, wurde geflissentlich überhört. Der große Einfluss der Lobbyisten auf die Bundesregierung und die Abgeordneten bleibt deshalb intransparent. Es fehlt ein politischer Verhaltenskodex bezüglich der Verquickung politischer und privater Interessen bei unseren gewählten Mandatsträgern und in den Regierungsämtern. Gegen massiven Widerstand aus den Unionsfraktionen (und zuvor auch der wirtschaftsnahen „Lobbypartei“ FDP) wurde auf zivilgesellschaftlichen Druck von „Lobbycontrol“ und „Transparency International“ erstmalig ein Lobbyregister eingeführt.

Abgeordnetenbestechung: Undurchsichtige Interessenkonflikte

Darin bleibt aber undurchsichtig, welche Interessenvertreter konkret an der Gesetzgebung mitwirken. Auch zur Bestrafung der an den „Maskendeals“ beteiligten und verdienenden Politikern gibt das lückenhafte Lobbyregister wenig her. Erst in 2015 hat Deutschland als eines der letzten Länder die Strafbarkeit im Korruptionsbereich unzureichend erweitert und in das Kernstrafrecht überführt, aber die Empfehlungen der Sachverständigen dazu ignoriert und quasi Schlupflöcher zum Schutz korrupter Abgeordneter hinterlassen. Es fehlt bislang weiterhin an einem wirksamen Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit, weil das Gesetz im Grunde genommen wirkungslos ist. Denn der erforderliche Nachweis, dass Abgeordnete „im Auftrag oder aus Weisung“ gehandelt haben, ist praktisch unmöglich.

Problemzone: Nebeneinkünfte und Parteispenden

Noch 2013 hatte der Bundestag eine Veröffentlichung von Nebeneinkünften der Abgeordneten mit Stimmen aus allen Parteifraktionen abgelehnt. Auch Parteispenden bleiben weiterhin in unbegrenzter Höhe möglich. In vielen anderen EU-Ländern und sogar in den USA gibt es teilweise viel strengere Regelungen. Denn der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen ist inakzeptabel. Die der Öffentlichkeit zugänglichen Listen der Parteispenden von Unternehmen und Verbänden in Höhe von insgesamt über 25 Mio. €, vor allem an die wirtschaftsnahen Parteien CDU, CSU und FDP, sprechen Bände. Allen voran die Pharmaindustrie, die großen Versicherungen und die Arbeitgeberverbände und Immobilien- und Grundbesitzerverbände sowie Finanzunternehmen, aber auch die dankbaren Rüstungsunternehmen, deren Gewinne gerade dank der deutschen Militärpolitik explodieren. Es wäre geradezu naiv, keinen Zusammenhang zwischen Spenden und politischen Entscheidungen zu erahnen. Es wäre höchste Zeit, die Finanzierung der Parteien vollständig von der Wirtschaft zu lösen.

UN hält Korruption in Billionenhöhe für ein Verbrechen an der Gesellschaft

Weltweit geht das Weltbank-Institut von einer Billion Dollar an jährlichen Bestechungsgeldern aus. Die Durch Korruption pro Jahr veruntreute Summe wurde in den zurückliegenden Jahren sogar auf über 2 Billionen Euro geschätzt, also über 5% des weltweiten Bruttoinlandproduktes. Die UN bezeichnet Korruption als ein ernsthaftes Verbrechen, dass die soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie die Demokratie in allen Gesellschaften untergräbt. Auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich noch relativ gut abschneidet – vor allem die Ukraine steht in Europa nach Russland mit den schlechtesten Werten auf dem vorletzten Platz der Korruption auf jeder Ebene der Regierung – so bleibt politisch noch viel zu verbessern, und zwar schleunigst und nicht irgendwann in ferner Zukunft!

Wilhelm Neurohr, 25. März 2023