Wilhelm Neurohr

Beitrag für den Dreigliederungs-Rundbrief:

Das siebte Weltsozialforum der Zivilgesellschaft vom 20. bis 25. Januar 2007 im afrikanischen Kenia mit über 60.000 Teilnehmern aus aller Welt nährte die Hoffnung auf eine Veränderung der Rolle und Situation des afrikanischen Kontinents und seiner verarmten Menschen in der globalisierten Welt. Im Mittelpunkt standen diesmal nicht die zahlreich angereisten prominenten Globalisierungskritiker und Delegationen aus 100 Ländern, sondern die 10.000 mitwirkenden Slumbewohner, tausende Straßenkinder und die Künstlerkarawane von ganz unten, um die Ärmsten der Armen in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu stellen – ein Wendepunkt in der Sozialforumsbewegung.

Statt auf den 1300 Workshops, Seminaren und Kundgebungen der nahezu 1500 teilnehmenden Organisationen nur zu theoretisieren, sollte nach dem Willen der Veranstalter in Nairobi das Programm diesmal praxisnah Raum geben für Aktionen und Kampagnen: Ein Festival der Straßenkinder unter dem Motto „Eine andere Welt ist auch für die Ärmsten möglich“, ein Marathon der Slumbewohner durch die größten Slums von Nairobi für die Grundrechte der Bevölkerung in Armutsvierteln mit dem weltschnellsten Marathonläufer Paul Tergat aus Kenia sowie eine Karawane von Künstlern und Aktivisten aus Sambia, Simbabwe, Malawi, Südafrika und Tansania. 20.000 Menschen zogen bei der Eröffnungsfeier in einer Art „Karneval der Subkulturen“ von Nairobis größten Slum Kibera aus in die Innenstadt mit Plakaten Eine andere Welt ist möglich, auch für Slumbewohner“. Sie appellierten an die Regierungen der reichen und mächtigen Staaten, die Lebenssituation in den Städten der Schwellen- und Entwicklungsländer zu verbessern und eine Globalisierung von unten zuzulassen, statt den afrikanischen Ländern ein Freihandelsabkommen mit der EU aufzudrücken, mit größtenteils negativen Konsequenzen für die afrikanischen Länder.

Gesellschaftliche Realität in den Elendsvierteln

Die gesellschaftliche Realität in den afrikanischen Ländern war am Beispiel Kenias für die Forumsteilnehmer aus aller Welt zu besichtigen: Einerseits ist die 4-Millonen-Stadt Nairobi die quirlige Metropole der gesamten ostafrikanischen Region mit einer modernen Skyline und Konsum teilweise auf europäischem Niveau. Andererseits ist die krasse Armut in den am Stadtrand wuchernden Elendsvierteln der über 1 Million Slumbewohner gleich nebenan unübersehbar - die meisten im Einzugsbereich der riesigen Müllhalde, von der sie sich ernähren und von der sie krank werden, unweit des Nairobi-Flusses , der sich als dunkelbraune stinkige Kloake durch die Siedlung schlängelt. Viele haben weniger als 2 Dollar Einkommen am Tag zur Verfügung. Sofern sie Arbeit finden, benötigt eine vierköpfige Familie zehn Monatslöhne, um die Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Für einen Kinobesuch gehen zwei Tageslöhne drauf. Am meisten leiden die Kinder, deren Rechte bei der mangelnden Armutsbekämpfung nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Aus Opfern sind über die Jahre Aktivisten geworden, die das diesjährige Weltsozialforum als Bühne nutzten, um auf ihre unsäglichen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen und gegen eine Neokolonialisierung anzukämpfen. Allmählich wächst die zivilgesellschaftliche Bewegung auch in Afrika, wie die zurückliegenden Streiks in der Freihandelszone von Nairobi mit 25.000 Beschäftigten, überwiegend schlecht behandelte Textilarbeiterinnen aus den Weltmarktfabriken auf den Straßen zeigten, die für faire Arbeitsbedingungen und Überstundenbezahlung, für Mutterschutz und Urlaub streikten. Die meisten Veranstalter des diesjährigen Weltsozialforums kamen diesmal aus Kenia selber, an zweite Stelle aus Brasilien als dem Ursprungsland des Weltsozialforums.

Die 30 anwesenden Organisationen aus Deutschland haben sich vorgenommen, mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und den G-8-Gipfel der reichsten Industriestaaten im deutschen Ostsseebad Heiligendamm im Frühsommer auf die Situation der Globalisierungsverlierer in Afrika aufmerksam zu machen, denn Europa - Entwicklungshelfer und Ex-Kolonialmacht - hat den Öl- und Rohstoffkontinent Afrika politisch und strategisch wieder entdeckt, mit welchen vorder- und hintergründigen Interessen auch immer. Die Machenschaften internationaler Konzerne und korrupter afrikanischer Regierungen sowie die europäische Abwehrpolitik gegenüber Flüchtlingen aus Afrika soll nach der Agenda der Zivilgesellschaft hingegen als Thema nicht ausgeklammert werden.

„Eine echte Weltgesellschaft in einer gerechteren Welt“

In Kenia standen deshalb unter dem Leitsatz „Eine gerechtere Welt ist möglich“ die Themen Aids, Landbesitz, Handel, Migration und Schuldenerlass im Vordergrund. Organisiert wurde die Veranstaltung von dem Kenianer Prof. Edward Oyugi, Direkter eines globalisierungskritischen Netzwerkes. Prominente Unterstützung bekam die afrikanische Sozialbewegung von Winnie Mandela und der Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, vom Anti-Apartheitskämpfer Bischof Desmond Tutu und der indischen Bürgerrechtlerin Vandana Shiva, von den französischen attac-Gründern Susan George und José Bové, von der ehemaligen UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, ferner vom ehemaligen Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, von weiteren Universitätsprofessoren und den vielen weltweit angereisten Menschen und Organisationen, von denen in diesem Jahr in Afrika die Kirchen besonders stark vertreten waren. Dem Dalai Lama war das Visum zum Besuch des Weltsozialforums von Kenias Regierung verweigert worden, um die guten Beziehungen zu China nicht zu gefährden, da China den Dalai Lama nicht anerkennt.

Im nächsten Jahr 2008 soll es anstelle eines Weltsozialforums einen globalen Aktionstag für eine andere Welt geben, als Signalwirkung gerade für Afrika, wo die Zivilgesellschaft noch nicht so stark ist. Nach dem diesjährigen Weltsozialforum soll es für Afrikas Bewegungen erst so richtig losgehen und auch die Europäer sollen in Bezug auf Afrika wachgerüttelt werden, so hoffen die Aktivisten der Zivilgesellschaft mit viel Idealismus und Solidarität. In Kenia drückte es eine Teilnehmerin angesichts der vielen Gäste und Delegierten sehr treffend aus: „ Hier gibt es keine Grenzen zwischen den Menschen. Beim Forum sind wir alle gleich, ein globales Dorf. Wir sind eine echte Weltgesellschaft, jeder kann mit jedem reden, als wären wir alle vom gleichen Ort.“