Wilhelm Neurohr

Zum ersten Mal fand die Eröffnung des zivilgesellschaftlichen Weltsozialforums in Afrika statt, in Malis 12-Millionen-Hauptstadt Bamako – als Gegenveranstaltung zum gleichzeitigen Weltwirtschaftsforum der Globalisierungseliten in Davos sowie parallel zum Gipfel der Afrikanischen Union in Sudans Hauptstadt Khartoum. Über 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt, mehrheitlich aus den afrikanischen Nachbarländern waren zum fünftägigen

globalisierungskritischen Weltsozialforum nach Mali angereist, das am 23. Januar 2006 dort endete und bis zum 29. Januar in Venezuela mit 120.000 Menschen fortgesetzt wurde. Über 300 Nichtregierungsorganisationen aus Mali hatten an den Vorbereitungen für die ca. 600 Workshops und kulturellen Veranstaltungen mitgewirkt, um 10 Hauptthemen der Globalisierung abzuhandeln unter dem Motto: „Nein zum Neoliberalismus“ und für ein anderes Afrika als gleichwertiges Teil dieser Welt - mit dem Willen zur stärkeren Vernetzung.

Auch wenn die Teilnehmerzahl hinter derjenigen aus den Vorjahren im brasilianischen Porto Allegre oder dem indischen Mumbai zurückblieb, so hat es aber der afrikanischen Zivilgesellschaft Auftrieb gegeben, dass sie das diesjährige Weltsozialforum auf Ihrem Kontinent eröffnen und durchführen durfte: Mali für vier Tage als Mittelpunkt einer zusammenwachsenden Welt. Ein internationales Jugendcamp lockte auch viele junge Teilnehmer an. Das diesjährige Weltsozialforum war mit der Durchführung an drei verschiedenen Veranstaltungsorten polyzentrisch angelegt – Caracas in Venezuela als attraktiver zweiter Veranstaltungsort brachte 120.000 Menschen auf die Beine und im pakistanischen Karachi als weiterer Austragungsort musste das Forum wegen der schweren Erdbeben auf den Sommer verlegt werden. Im nächsten Jahr soll das Weltsozialforum nur in Afrika stattfinden, und zwar in Kenias Hauptstadt Nairobi. Dafür war Mali quasi die Generalprobe, bei der die Debatten über die gerechte Verteilung des Reichtums dieser Welt im Vordergrund standen.

„Afrika kann Afrika ernähren“

Malis Hauptstadt Bamako, in der bereits mehrere G-8-Gegengipfel der Zivilgesellschaft stattfanden, gilt als Geburtsort für das afrikanische Sozialforum auf nationaler Ebene sowie als Hort einer aktiven afrikanischen Zivilgesellschaft, seitdem versucht wurde, genmanipulierte Baumwolle in Malis Landwirtschaft zu bringen. Mali ist eines der einkommensschwächsten Länder Afrikas. So war auch der problematische Baumwollverkauf eines der wichtigen Themen in Mali, derweil chinesische Arbeiter noch zu Tagungsbeginn die Steine und Platten vor dem Palais de Congress am Veranstaltungsort verlegten – Sinnbild der Globalisierung.

Bei dem Protestmarsch mit 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Begleitung von Kamelen zur Eröffnung in Mali war auf Schildern zu lesen: „Afrika kann Afrika ernähren.“ Die ehemalige Ministerin für Kultur und Tourismus von Mali, Aminata Traoré, die heute als eine der wichtigsten Globalisierungskritikerinnen Afrikas gilt, beklagte sich über die arrogante Art und Weise, mit der der Westen Afrika in ein Ghetto verwandeln wolle, was die Afrikaner als Rassismus empfinden würden. Der beste Weg, Afrikas Probleme zu lösen, sei es, erst einmal diese Art von Diskurs abzubrechen, der auf abzulehnendem neoliberalem Denken beruhe. „Warum sollen uns in Afrika Reformen helfen, die in Europa zigtausende Arbeitsplätze vernichtet haben?“, so fragt sie.

Hinzu kam in Mali die Sorge der Landarbeiter ohne Landbesitz, die sich über die Privatisierung öffentlicher Güter einschließlich Trinkwasser beklagten: „Ihr habt unser Gold verkauft, dann die Baumwolle. Bleibt noch der Niger-Fluss“. Ein Nigerianer fragte sarkastisch: „Was soll denn noch alles privatisiert werden? Unsere Kinder und Frauen?“ Auf dem Weltsozialforum in Mali wurde auch viel gelacht, obwohl die Menschen dort wenig zu lachen haben, so wurde von dort berichtet. Zeitgleich bemühte sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum – dazu versteht sich ja das zivilgesellschaftliche Weltsozialforum als Gegenveranstaltung, weil dort die Zivilgesellschaft nicht teilnehmen darf – ein Bekenntnis zu einer reformierten sozialen Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz abzulegen. Gleichzeitig betonte sie aber unter dem Beifall von 2300 Unternehmern und Politikern aus aller Welt unter scharfen Sicherheitsmaßnahmen, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb wieder in die Spitzengruppe wolle und dazu die unternehmerische Freiheit gestärkt werden müsse.

Hat Afrika im Zuge der Konkurrenzwirtschaft, also des rücksichtslosen Gegeneinanders statt des Miteinanders im Wirtschaftsleben, überhaupt eine Chance, die Lebenssituation seiner Menschen zu verbessern? Hat nicht jüngst das Scheitern des WTO-Gipfels in Hongkong (siehe Goetheanum Nr. 1-2/2006) die ärmsten Länder wiederum um 7 Jahre zurückgeworfen, indem sich Europa und die USA durch Fortsetzung ihrer Landwirtschaftssubventionen ihre Vorteile gegenüber den abgeschlagenen Entwicklungsländern weiterhin sicherten? Zwar betonte die deutsche Bundeskanzlerin in Davos, dass sie die Ängste der Menschen vor der Globalisierung verstehe - nachdem sich selbst im reichen Deutschland die Kinderarmut seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze binnen eines Jahres von 1 Mio. auf 1,7 Millionen betroffener Kinder erhöht hat. Aber sie halte die Globalisierung gerade unter Beibehaltung des Konkurrenz- und Wettbewerbsdrucks für gestaltbar: „Wer im Wettbewerb der Ideen besteht, der kann auch seine Zukunft gestalten“, so formulierte sie.

Ginge es um geistigen Ideenwettbewerb, könnten vielleicht auch die Afrikaner diesen Satz bedingungslos unterstreichen. Aber es geht ja bei der neoliberalen Ideologie in Wirklichkeit um Verteilungskampf bei den Ressourcen und Reichtümern. Hier empfindet sich Afrika mit seinen hungernden und Not leidenden Menschen eher als ausgeplünderter Weltteil denn als fair behandelter Wirtschafts- und Wettbewerbspartner. Kann also die von Europa und Amerika geprägte Weltwirtschaftsordnung, die von den Afrikanern eher als lebensbedrohende Unordnung erlebt wird, Hoffnung auf Verbesserung ihrer Situation und ihrer Zukunftsperspektiven erwecken? Wohl kaum. Kein anderer Kontinent hat so viele leidvolle Erfahrungen mit dem Sklaventum gesammelt.

Nun befürchtet die Zivilgesellschaft in Afrika, dass die Fortführung der sich eigentlich dem Ende neigenden, weil erfolglosen Konkurrenzwirtschaft „jeder gegen jeden“ die Menschen weltweit in sklavische Abhängigkeiten bringt. In diesen Wochen sorgen sich selbst die Menschen im reichen Europa angesichts der zur Beratung anstehenden umstrittenen EU-Dienstleistungsrichtlinie um eine Versklavung aller im Dienstleistungssektor erwerbstätigen Menschen, die mitsamt der Dienstleistung zur Handelsware erklärt werden. Europa kann solange kein Vorbild für Reformen in Afrika sein, wie es sein eigenes Wirtschaftsgebaren nicht rigoros korrigiert und neu orientiert: Wirtschaft gegen und ohne Menschen ist sinnlos und tödlich. Vielleicht können die Europäer mehr von Afrika lernen als umgekehrt?