Wilhelm Neurohr

Schon seit 20 Jahren gibt es ausgewertete Erfahrungen mit zahlreichen[1] so genannten „Freihandelsabkommen“ zum Abbau von Zöllen und Handelsbarrieren, wie z. B. auch dem Nordamerikanischen „NAFTA“-Abkommen zwischen den drei Vertragspartnern USA, Kanada und Mexiko vom 1. Januar 1994. Als aktuelle „Blaupause“ gilt auch das kurz vor dem Abschluss stehende Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada. Nach deren Vorbildern soll nun, wie eingangs erwähnt, auch mit Nachdruck das TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA bis 2015 abgeschlossen werden. Die bisherigen Erfahrungen mit dem NAFTA-Abkommen gelten aber als schlechte Beispiele und als Mahnung, weil das Abkommen mehr Nachteile als eigentlich versprochene Vorteile erbracht hat. In den USA gingen Zigtausende Jobs verloren, in Mexiko etliche Kleinbauern pleite. Zwar haben die Exporte zugenommen, aber das Lohnniveau sei teilweise unter den Stand von 1994 gesunken und die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Mexikaner sei angestiegen[2].

Insgesamt führte es zum stufenweisen Untergang der Kleinbauern von Südmexiko, die seit 2003 Nachverhandlungen fordern[3], sowie zur Ausbreitung von Genmais in Mexiko[4]. Verlierer sind aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Kritiker die Bürger, Arbeitnehmer, Verbraucher und die Demokratie. Als Gewinner gelten die Investoren und Konzerne, deren vor Schiedsgerichten einklagbaren Investorenrechte Vorrang vor den Umwelt- und sozialpolitischen Entscheidungen der gewählten Regierungen genießen. Bestehende gesetzliche Regelungen etwa zum Verbraucherschutz gelten als unzulässige „Handelshemmnisse“ und führten bereits zu Schadenersatzforderungen und hohen Entschädigungszahlungen, mit denen demokratisch legitimiertes Regierungshandeln eingeschränkt wird.

Denn Ziel des NAFTA-Abkommens ist neben dem Abbau von Zöllen und anderen „Handelsbarrieren“ vor allem der „Schutz der Auslandsinvestoren vor Enteignungen und anderen Willkürakten des Gastlandes“. Dazu zählen offenbar auch erlassene Umweltgesetze und -verordnungen zum Schutz der Menschen. Daraufhin hatte das US-Unternehmen Ethyl Corporation die kanadische Regierung 1997 vor einem NAFTA-Schiedsgericht – also nicht vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit – auf Schadenersatz verklagt mit dem Argument, das kanadische Importverbot von Benzin mit dem giftigen Zusatzstoff MMT käme einer Enteignung gleich. Kanada reagierte folgsam mit einer Aufhebung des Verbotes und zahlte eine Millionenentschädigung im Rahmen eines Vergleichs (siehe hierzu auch Kapitel über die dubiose Rolle der Schiedsgerichte).

Die versprochenen Vorteile von NAFTA erwiesen sich als leere Versprechen

Dabei sollten sich eigentlich die Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse vor allem in Mexiko durch das NAFTA-Abkommen verbessern, um die illegalen Einwanderungen von Mexikanern in die USA zu vermindern. Mit diesem zentralen Versprechen hatte jedenfalls der damalige US-Präsident Bill Clinton vehement für das NAFTA-Abkommen geworben, während US-Forschungsinstitute ein Jahrzehnt später beklagten, dass keineswegs genügend Arbeitsplätze in Mexiko entstanden seien, um auch nur ansatzweise diese illegale Einwanderungen zu verhindern. Durch die grenznah zu den USA entstandenen Fabriken in Mexiko sind unter dem Strich weniger Stellen geschaffen worden, als zugleich in der Landwirtschaft verschwanden; überdies sind dadurch viele Arbeitsplätze in den USA vernichtet worden. [i]Tatsächlich hat sich jedoch insgesamt der Handel zwischen den drei Mitgliedsländern verdreifacht[5]. Für Mexiko bedeutete jedoch die plötzliche Überschwemmung mit hochsubventioniertem US-Mais den Ruin vieler Kleinbauern, während für die USA die Abwanderung von Industriejobs und ein rasch anwachsendes Handelsdefizit die negative Folge des NAFTA-Abkommens war.

Die im Vorfeld des Abkommens vollmundig versprochenen neuen Jobs, die durch den freien Handel gewissermaßen automatisch entstünden – so auch die gleichlautenden Behauptungen in Europa mit Blick auf das transatlantische TTIP-Abkommen – bewahrheiteten sich nicht, im Gegenteil: Die Zahl der durch NAFTA verlorenen US-Jobs wird auf rund 700.000 geschätzt[6]. Und selbst der US-Kongress konstatierte, dass NAFTA nicht so viele Arbeitsplätze vernichtet hat, wie seine Kritiker befürchteten. Die Forschungsabteilung des US-Kongresses resümierte, dass die Auswirkungen von NAFTA auf die US-Wirtschaft unter dem Strich recht bescheiden gewesen sind[7]. Dennoch behaupten Befürworter[8], in den 20 Jahren von 1993 bis 2012 sei das Handelsvolumen zwischen den USA und Mexiko um 506% gestiegen, während der Handel der USA mit Nicht-NAFTA-Staaten nur um 279% wuchs. Doch diese behaupteten Zahlen über das insgesamt gestiegene Handelsvolumen sagen nur wenig über die damit auch erzeugten Disparitäten usw. aus.

Schon zur zehnjährigen Halbzeit des NAFTA-Abkommens hatte die Weltbank in einer Studie zugeben müssen, dass auch in Mexiko die Entwicklung seit dem Start von NAFTA nicht gerade bemerkenswert gewesen sei, im Gegenteil: Trotz zunehmender Exporte habe das Lohnniveau sogar noch unter dem Stand von 1994 gelegen und die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Mexikaner steige stetig an. Denn inzwischen sind nicht einmal mehr die sogenannten Maquiladoras, in denen Mexikaner zu Hungerlöhnen Waren für den US-Markt produzieren, ein Beschäftigungsmotor, denn längst haben die noch billigeren Fabriken in China und anderen ostasiatischen Ländern ihnen den Rang abgelaufen[9]. An vielen Punkten wird erkennbar, dass NAFTA kein solches Erfolgsprojekt war, dass es tatsächlich als anregendes Vorbild für TTIPP gelten könnte, denn die Bilanz ist eher ernüchternd bis abschreckend.


[1] Dutzende multilaterale, bilaterale oder internationale Freihandelsabkommen sind bereits in Amerika, Südamerika Afrika Asien, Mitteleuropa und Neuseeland abgeschlossen worden unter den Kürzeln NAFTA, EFTA, FTAA, ALBA, MCCA, CEFTA, COMESA, SADC, GAFTA, SAARC, AFTA, ANZCERTA, ASEAN, TPP etc., siehe auch wikipedia.org/wiki/Freihandelsabkommen

[2] taz vom 2. Januar 2014, Seite 9

[3] http://www.oeku-buero.de/info-blatt-59/articles/stufenweiser-untergang-der-mexikanischen-kleinbauern.html

[4] http://www.greenpeace.de/themen/gentechnik/presseerklaerungen/artikel/greenpeace_deckt_auf_nafta_kritisiert_usa_wegen_gefaehrdung_der_biologischen_vielfalt_mexikos/

[5] Nicola Liebert in der taz vom 2. Januar 2014 (Seite 09, Wirtschaft und Umwelt)

[6] Laut Washingtoner „Thinktank Economie Policy Institute”

[7] Siehe zu 1)

[8] www.profil.at/articles/1403/982/371566/warum-panik-vor-dem-Freihandelsabkommen-unbegründet-ist

[9] wie vor